Meine Rede auf dem Landesparteitag in Rendsburg am 01.11.2008 im Video:

Konstantin von Notz - Rede 1.11.2008

Und als Volltext:

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir stehen augenblicklich an einer Klippe. Und es geht für unsere Gesellschaft um Absturz oder neues Gleichgewicht. Die Bankenkrise der letzten Wochen hat Vieles verändert, und sie wird noch Vieles verändern. Die Banker und Hedgefonds haben Kredite zerlegt, verpackt und aufgeblasen. Es wurden keine Werte geschaffen, aber irrwitzige Provisionen verdient. Man hat Kapitalismus ohne Kapital gemacht. Und jetzt fällt das Kartenhaus in sich zusammen. Und in ihrer selbst verschuldeten Not rufen die Ackermänner, sie – die Staatsverächter – sie rufen nach dem Staat. Und der schnürt ein Rettungspaket ohne Gleichen.

Ob dieses Paket tatsächlich Rettung bringt, wird man erst in den nächsten Monaten sehen. Fest steht aber schon heute: Die neoliberalen Dogmen, dass der Staat im Hinblick auf die Wirtschaft nichts darf und nichts kann, sind widerlegt. Die Dauerarien der Westerwelles und Märzens über die heilenden Kräfte der entfesselten Märkte sind demaskiert. Und ich sage an dieser Stelle: Mit uns wird es keine Neuauflage des Neoliberalismus geben!

Und deswegen liegt in dieser Krise auch eine Chance. Der Börsengang der Bahn wurde ausgesetzt. Wir müssen diese Irrfahrt endgültig stoppen! Doch die Bahnmanager haben Ihre Millionenprovisionen schon errechnet und eingepreist. Und wenn zu Recht derzeit der Rücktritt des Verkehrsministers Tiefensee gefordert wird, Hartmut Mehdorn muss schon lange zurücktreten. Er will aus der Bahn eine „Lufthansa auf Schienen“ machen: am liebsten nur noch für Geschäftsleute, am liebsten nur noch 1. Klasse und am liebsten nur noch zwischen den Großstädten. Gerade für Schleswig-Holstein ist diese Denke Gift.

Wir brauchen eine Bahn für alle, mit guten Netzen und guten Fahrplänen. Die Bahn ist öffentliche Daseinsvorsorge. Sie darf nicht Spielball für Renditeinteressen werden. Und deswegen stellen wir uns der Bahnprivatisierung mit aller Kraft entgegen, liebe Freundinnen und Freunde.

Und die Bankenkrise birgt eine weitere Chance. Sie rüttelt wach für die krassen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten in unserer Mitte. Warum können innerhalb einer Woche 500 Milliarden Euro für Not leidende Banken mobilisiert werden, wenn seit Jahren das Geld fehlt, das dramatische soziale Auseinanderdriften unserer Gesellschaft zu stoppen? Der Staat darf sich nicht auf Kosten der Abgehängten und Ausgegrenzten sanieren.

Ich sage: Gute Finanzpolitik ist eine Frage der Prioritätensetzung. Wir müssen die Bildungs- und Sozialpolitik wieder nach vorne stellen. Und dafür brauchen wir keine gedankenlose Staatsverschuldung. Sondern endlich eine gerechte Steuerpolitik mit Börsenumsatzsteuer, Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer. Und das bedeutet auch, eigene Fehler einzugestehen: Und deswegen müssen wir die unsinnigen Effekte der milliardenschwere rot-grüne Unternehmenssteuerentlastung zurückholen, liebe Freundinnen und Freunde.

Während die Konservativen den Staat in Wirtschaftssachen verdammen, wollen sie die staatliche Allmacht im Hinblick auf den Menschen. Der freiheitliche Rechtsstaat steht unter Beschuss. Vor allem in Zeiten einer Große Koalition und vor allem nach dem 11. September. Und es geht mir nicht darum, die Gefahr durch terroristische Anschläge klein zu reden. Denn es gibt diese Gefahr. Es ist aber entscheidend, wie wir ihr begegnen:

In einem Interview hat August Hanning, ehemaligen Geheimdienstchef, heute Staatssekretär im Innenministerium, folgende Frage aufgeworfen: „Wollen wir es uns wirklich leisten, überwachungsfreie Räume zu schaffen?“

Er fragt also: Soll es etwa Bereiche geben, die der Staat nicht überwachen darf? Offensichtlich eine ungeheuerliche Vorstellung im Bundesinnenministerium.

Bei dieser ideologischen Grundhaltung sind die Nacktscanner nur eine konsequente Forderung und ihre Umsetzung ist nur eine Frage der Zeit. So macht sich die große Koalition daran, den Kern unserer Verfassung aufzubohren. Die Geräusche dieser Abrissarbeiten sind deutlich zu hören: Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Wohnraumüberwachung, biometrischer Reisepass, und so weiter und sofort.

Schon in den 80ern wollte Wolfgang Schäuble die Bundeswehr im Innern gegen die vermeintlichen Asylbewerberströme einsetzen. In den 90ern diente die organisierte Kriminalität als Vorwand. Und Schäuble 2.0, scheint heute – mit dem Argument des Internationalen Terrorismus – fast am Ziel.

Als Anwalt bei den Protesten in Heiligendamm habe ich erlebt, wie die Bundeswehr mit Kampfflugzeugen und Hubschraubern bei Demonstrationen eingesetzt wurde. Hier wurde gezielt versucht, den Grundsatz der Trennung von Innerer und Äußerer Sicherheit zu durchbrechen. Geschichtsvergessen will der schwarz-rote Koalitionsausschuss jetzt mehr davon. Und ich sage Euch, es macht einen Unterschied, wenn die Staatsgewalt in Gorleben nächste Woche nicht mehr nur mit Polizei und Wasserwerfern, sondern mit der Bundeswehr und Panzern den Castoren den Weg bereitet.

Und deswegen antworte ich auf die Frage des Staatssekretärs: Ja, wir wollen uns überwachungsfreie Räume leisten und – wir müssen uns überwachungsfreie Räume leisten. Wir brauchen Privatsphäre und den Schutz der Menschenwürde. Der Staat soll uns nicht mit Nacktscannern ausziehen und über Bundestrojaner unsere Emails und Tagebücher lesen.

Und deswegen: Wir stellen uns gegen die Militarisierung der Zivilgesellschaft. Wir werden die Freiheitsrechte an den Zäunen von Heiligendamm, auf den Straßen von Gorleben und in den Parlamenten verteidigen!

Und so wie wir die Militarisierung der Zivilgesellschaft ablehnen, so fordern wir eine Zivilisierung des Militärischen! Der Glaube, dem Terrorismus im Inland mit militärischen und geheimdienstlichen Mitteln begegnen zu können, entspringt der gleichen naiven und gefährlichen Überzeugung, mit der man in der Weltpolitik gegen ihn Präventivkriege führt.

Wer nicht sieht, dass in Afghanistan allenfalls eine zivile Offensive in der Lage ist, Frieden zu bringen und BürgerInnenrechte zu etablieren, der glaubt eben auch, man könnte der Terrorgefahr in Deutschland mit Panzern begegnen. Frieden ist aber keine Frage von Waffengewalt, sondern in erster Linie eine Frage von Gerechtigkeit.

Und deswegen suchen wir kluge und differenzierte Antworten. Wir fordern: Eine faire Handelspolitik ohne ungerechte Zölle und Subventionen. Wir wollen ein Grundrecht auf Nahrung und ein Ende der Spekulationen mit Nahrungsmitteln. Wir streiten für die eine Welt!

Auf den Straßen und in den Parlamenten für mehr Gerechtigkeit und eine Welt gekämpft hat Petra Kelly. Sie hat gesagt: Die Grünen sind die Anti-Parteien-Partei! Das brauchen wir heute mehr denn je. Wir brauchen eine Rückbesinnung auf das, was uns von den anderen unterscheidet. Denn in der politischen Landschaft regiert Beliebigkeit. Und so hörte man nach der Bayernwahl von den Verantwortlichen der CSU immer wieder, dass das „Themenmanagement“ nicht richtig gelaufen sei. Das Themenmanagement?! Man steht nicht mehr für seine Überzeugungen, man macht keine Politik, – man managt Themen. Die Westerwellisierung der politischen Kultur ist in vollem Gange. Und davon müssen uns unterscheiden.

Grüne Politik muss unangepasst und sperrig sein: Sie muss am Baum rütteln, gegen den Strich bürsten und in Frage stellen. Wir wollen gesellschaftliche Vielfalt statt politischer Einfalt.

Dafür möchte ich in Berlin streiten. Nach Außen, für mehr Glaubwürdigkeit und transparente Entscheidungen. Und nach Innen, denn auch in unserer Partei brauchen wir endlich wieder mehr Herzblut und weniger Funktionärstum, liebe Freundinnen und Freunde!

Diese grüne Unangepasstheit ist ein wesentlicher Grund, warum unsere Themen heute im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen. Die Umwelt- und Klimapolitik, die Familienpolitik, die Neugestaltung des Bildungssystems, die Integrationspolitik und vieles mehr.

Die anderen Parteien reden inzwischen auch darüber, es passt in ihr Themenmanagement. Sie wollen geschmeidig sein, aber es ist schlecht kopiert, es ist angelesen, ein Plagiat und billiger Abklatsch. Erst ist Frau Merkel die Klimakanzlerin, kurz darauf gibt sie die engagierte Kämpferin für globale Gerechtigkeit, dann wirbt sie für die Bildungsrepublik. Konkrete Gesetze, Gelder, Maßnahmen aber – alles Fehlanzeige! Das müssen wir deutlich machen. Und dazu sind wir die Alternative.

Wir stehen für eine wirkliche Wende in der Klimapolitik, wir kämpfen gegen die Drecks-Atomreaktoren in Brunsbüttel und Krümmel und anderswo, wir haben den Mut zur Neuen Schule, wir setzen dem Raubbau an den Freiheitsrechten ein Ende. In Schleswig-Holstein haben wir gezeigt: Wir können kreative, frische und nachhaltige Politik. Und das muss auch unsere Stärke in Berlinsein. Dafür will ich mit Euch allen streiten. Mit meiner kommunal- und landespolitischen, aber auch mit meiner beruflichen Erfahrung,mit dem einstimmigen Votum meines Kreisverbandes und mit Herz und Verstand.

Dafür bitte ich Euch um Eure Unterstützung und um Euer Vertrauen.

Vielen Dank!