notz_konstantin-von_klein_460225. Sitzung, Top 31, 28.02. 2013

Gesetz zur Familienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in
den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte
des Bundes

Dr. Konstantin von Notz:

Die Gesellschaft altert, und die Zahl der Pflegefälle nimmt weiter zu. Zugleich gibt es aber immer weniger Menschen, die bereit sind, in der Kranken oder Altenpflege zu arbeiten. Das ist aber nur die eine Seite. Die Frage der Pflege durch Angehörige und in der Familie dagegen beschäftigt uns dagegen bereits seit Jahrzehnten. Es wäre falsch, diese Frage – aus der Sicht vieler auch die des Pflegenotstandes – einseitig mit dem demografischen Wandel in Verbindung zu bringen. Denn sie berührt viel tiefer gehend auch den Wandel und die Ausdifferenzierung des Modells Familie im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen.

Die einseitige Einordnung ausschließlich beim demografischen Wandel nährt den Verdacht, die schwarzgelbe Koalition wolle die eigene Unfähigkeit, die Veränderungen in unserer Gesellschaft wahrzunehmen und auf sie zu reagieren, verdecken; Karlsruhe und Adoptionsurteil lassen grüßen. Wir sollten die Pflege aber auch nicht, wie es SchwarzGelb jetzt vormacht, allein unter dem Gesichtspunkt eines leistungsfähigen öffentlichen Dienstes oder gar der Fachkräftedebatte betrachten. Denn damit würde schlicht verkannt, dass es die Ermöglichung der Pflege von nahestehenden Personen und die Würde der Pflegebedürftigen selbst sind, die uns dazu verpflichten, die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege auf möglichst allen Ebenen voranzutreiben.

Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei der Pflege um ein zentrales Thema auch der Sozial und Gesundheitspolitik handelt. Es ist deshalb gut und richtig, dass hierzu in der kommenden Sitzungswoche eine dann hoffentlich erhellende Sachverständigenanhörung stattfinden wird. Dass wir in dieser Anhörung gleich drei hochkomplexe und völlig unterschiedliche Themen in einem Aufwasch aufgreifen werden, ist erkennbar unseriös und an der Grenze zu einer bloß symbolischen Beratung dieses Hauses. Diese Planung geht klar auf das Konto der schwarz-gelben Koalition, die offensichtlich meint, kurz vor ihrem absehbaren Ende mit wenigen ganz schmalspurigen Initiativen in Richtung Beamtenschaft punkten zu können.

Was aber bekommen die Bundesbeamten wirklich? Im Falle des uns heute vorgelegten Gesetzes gilt – ich zitiere den Entwurf: „Damit wird das Familienpflegezeitgesetz, das für die Privatwirtschaft und für Tarifbeschäftigte seit dem 1. Januar 2012 in Kraft ist, im Beamtenbereich wirkungsgleich nachvollzogen.“ Nur nachvollzogen, sollte man ergänzen. Das stimmt nachdenklich, nicht nur wegen der Eigenheiten des Dienstverhältnisses. Vielmehr handelt es sich um ein übernommenes Konzept aus dem Hause der Familienministerin.

Soweit ich mich erinnern kann, haben wir zu Kristina Schröders Familienpflegezeitgesetz nicht nur eine turbulente Debatte erlebt, bei der die Opposition einhellig Kritik übte, sondern wir haben auch eine Sachverständigenanhörung erlebt, bei der die Kritik insbesondere der in der Praxis erfahrenen Sozialverbände nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließ. Diese Debatte um Schröders Familienpflegezeitgesetz wiederum ist nur im Licht der Auseinandersetzung um die Reform der Pflegeversicherung selbst zu sehen. Auch hier erlebten wir eine Bundesregierung, deren Reformansatz an Mickrigkeit nicht zu überbieten war und die zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran aufkommen ließ, wie wenig ihr Begriffe wie Gerechtigkeit und Solidarität bedeuten. Wenn die Rede von der Forderung nach dem Gesamtkonzept also jemals Sinn gemacht hat, dann beim Thema Pflege. Davon ist im vorliegenden Gesetzentwurf jedoch wahrlich nichts zu erkennen.

Ein weiterer Haken, der in unsere ansonsten leider gerne kleinteilig geführten Beamtenrechtsdebatten hineinreicht, ist die im Gesetzentwurf beschworene Formel von der Kultur des längeren Arbeitens. Hier wird vom Bundesinnenminister gleich ein noch größeres Rad gedreht, nämlich die Debatte um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Wir teilen im Grundsatz den skeptischen Blick des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dass es besser wäre, versorgungsbedingte biografische Lücken von vornherein zu verhindern, anstatt sie erst entstehen zu lassen und den Betroffenen anschließend die Verantwortung für die Lückenschließung durch verlängerte Lebensarbeitszeit aufzubürden.

Wer, wie die Bundesregierung, wirkungsgleich das Konzept für die Tarifbeschäftigten des Bundes auf die Bundesbeamten überträgt, mag sich „wirkungsgleich“ auch die Kritik daran anziehen. Man hat sich für ein Konzept entschieden, bei dem, neben dem bestehenden reformbedürftigen Pflegesystem, keine weiteren Elemente gesellschaftlicher Solidarität geschaffen werden sollen, sprich: Das Risiko Pflege tragen die Angehörigen, aus der Perspektive des Dienstverhältnisses gesehen, ausschließlich selbst. Der Entwurf rühmt sich ja – insofern konsequent, aber zynisch – seiner weitgehenden Kostenneutralität. Es wird sich zeigen, ob diese Entscheidung den Verhältnissen eines sich ausweitenden Pflegenotstandes tatsächlich Rechnung trägt.

Besonders fragwürdig bleibt, dass kein Rechtsanspruch geschaffen wird. Stattdessen wird ein so weiter Ermessensspielraum für die mögliche Ablehnung durch die Dienstherren geschaffen, dass die Nachfrage zur Bittstellung verkommt. Fragwürdig erscheint auch, dass trotz der Vielfalt der zu bedenkenden Konstellationen eine Familienpflegezeit ausschließlich für betroffene nahe Angehörige gewährt wird. Das riecht mal wieder nach Festschreibung überholter Familienvorstellungen und schneidet unnötig die Bereitschaft zu verantwortlichem Handeln ab.

Entgegen der Zielsetzung der Flexibilisierung wird mit der Fixierung auf die Höchstdauer der Gewährung von längstens 24 Monaten die Realität ganzer Krankheitsbilder und typischer Pflegefälle negiert, die sich tatsächlich oft über viele Jahre hinziehen.

Keine Anstrengungen unternimmt der Entwurf, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass nach wie vor ganz überwiegend Frauen die Pflege übernehmen. Das ist gleichstellungspolitisch nicht akzeptabel.

Nicht dargelegt wird, wie diese Neuregelung mit anderen bestehenden Regelungen zum Thema Pflege zusammengreift. Vorstellungen zum Beispiel von einem effektiveren und alle Beteiligten schonenderen Pflegemix scheinen daher von vornherein in keinerlei Weise mitbedacht.

Ich bin gespannt, was uns die Sachverständigen zu der zu erwartenden Nachfrage nach diesem Gesetz sagen werden. „Wirkungsgleich“ zu Kristina Schröders Gesetzesinitiative wird womöglich deutlich werden, dass wir es hier mit einer so eng geführten Familienpflegezeit zu tun haben, dass die schwarzgelbe Koalition sich hier – auf jeden Fall aber verglichen mit der zu stemmenden Aufgabe Pflege und Pflegenotstand – auf dem Feld der symbolischen Gesetzgebung betätigt, um Aktivitäten vorzugaukeln, in der Sache aber kaum einen Schritt vorwärts gemacht wird.

„Mit dem Gesetzentwurf sollen erste konkrete Schritte unternommen werden.“ So heißt es in dem uns vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung gleich auf Seite eins. Wer uns so spät in der Legislaturperiode ein solches Trippelschrittchen vorlegt, wer also so spät anfängt, seine Hausaufgaben zu machen, von dem können wir mit Gewissheit keine weiteren ernsthaften Schritte mehr erwarten. Das ist auch gut so; denn im September wird diese schwarzgelbe Chaoskoalition abgewählt werden. Dann darf sie den selbst geschaffenen Stillstand nicht mehr verwalten, und dann wird sie auch in diesem Bereich keinen weiteren überwiegend durch Unterlassen bewirkten Schaden mehr für unser Land anrichten können.