Wie viele Menschen habe auch ich täglich mit den Auswirkungen von politischen Entscheidungen zu tun, ohne dass ich immer wirklich weiß, wer diese Entscheidung getroffen hat und welche Diskussion der Entscheidung vorangegangen ist. Wer Zeitung liest, bekommt schon mal ein ungefähres Bild der politischen Abläufe, doch ist auch ein Zeitungsartikel nicht immer objektiv, oft wird man durch die gegebenen Informationen, ohne es mitzubekommen, in eine bestimmte Richtung gelenkt. Ich studiere Jura in Frankfurt und kenne somit auch den strukturellen Aufbau der Bundesorgane und der Bundespolitik an sich. Um nun mein theoretisches Wissen mit dem realen Geschehen des Bundestages zu unterfüttern, entschied ich mich für ein Praktikum im Bundestag.

Durch meine Arbeit im Kompetenzzentrum für Beschäftigtendatenschutz (KfB) an der Europäischen Akademie der Arbeit in Frankfurt, kam ich mit dem Gesetzesentwurf der Grünen zum Beschäftigtendatenschutzgesetz (BD. Dt- 17/4853) in Berührung und stieß schnell auf den Namen Konstantin von Notz. Als ich mich auf seiner Website erkundigte, sah ich, dass es die Möglichkeit gab, bei ihm ein Praktikum zu absolvieren. Ich bewarb mich um ein einmonatiges Praktikum und wurde kurze Zeit später zu einem Bewerbungsgespräch nach Berlin eingeladen. Ich muss gestehen, dass ich vor der Zeit meines Praktikums nicht sehr häufig in Berlin war und mich auch mit der Stadt und ihrer Rolle als Hauptstadt nicht wirklich intensiv auseinandergesetzt hatte. Umso beeindruckter war ich von der ungeheuren Ansammlung berühmter und historischer Gebäude. Als ich mich durch das Brandenburger Tor in Richtung Reichstagsgebäude auf den Weg machte, merkte ich wie sehr ich mich auf dieses Praktikum, und die damit verbundene Chance, einen Blick in das Innere der Bundespolitik werfen zu können, freute.

Mein Bewerbungsgespräch war kurz, informativ und erfolgreich. Konstantin von Notz ist Volljurist, Abgeordneter der Grünen und zu seinen Fachgebieten gehört das Thema Netzpolitik. Diese drei Umstände waren für mich von großer Bedeutung und ich hatte immer mehr das Gefühl, als sei das Praktikum auf mich persönlich zugeschnitten worden. Für Konstantin muss es offensichtlich auch gepasst haben, denn er nahm mich an. Jippi, Berlin ich komme!

Als ich dann gute zwei Wochen später mein Praktikum im Jakob-Kaiser-Haus (in diesem Haus befindet sich Konstantins Büro) begann, wurde mir sein Büro mit seinen kompetenten und immer gutgelaunten Mitarbeitern vorgestellt. Ich lernte Bettina kennen, die mit ihrer fröhlichen und aufgeweckten Art immer Schwung in das Büro brachte und fast wie nebenbei noch die Organisation von Konstantins Berliner-Büro stemmt. Jörn, der rührig mit zwei Telefonhörern an den Ohren, mit der einen Hand eine Pressemitteilung schrieb und dabei noch den aktuellen Pressespiegel überflog und Nils, der alle Informationsquellen des Internets durchkämmt und auch den weiten Weg zur Bibliothek des Bundestages nicht scheute um eine gut recherchierte, treffende Stellungnahmen zu jedem nur erdenklichen Thema zu verfassen, das gerade aktuell und von Bedeutung ist, doch trotzdem nie um eine freundliche Antwort verlegen, wenn man ihn aus seiner Arbeit riss. Ich bekam einen eigenen Schreibtisch mit PC bei Jörn und Nils im Zimmer und konnte mich erst mal mit den Passwörtern der Umgebung und dem Zustand, endlich angekommen zu sein, zurechtfinden.

Die erste Woche war relativ ruhig, da es sich um eine Nichtsitzungswoche handelte und alle damit beschäftigt waren, vor der nächste Sitzungswoche Luft zu holen und sich auf die kommenden Aufgaben vorzubereiten. Ich selbst erledigte Rechercheaufgaben, half bei der Beantwortung von Bürgerbriefen und arbeitete Nils und Jörn zu, die Reden für Konstantin schrieben, PM’s zu aktuellen Themen verfassten oder Termine für Konstantin vorbereiteten. Zwischen der Arbeit hatte ich aber immer wieder Zeit durch das, am Anfang schwer überschaubare, Tunnellabyrinth zu wandeln, was das Reichstagsgebäude, das Jakob-Kaiser-Haus, das Paul-Löbe-Haus und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus miteinander verbindet. Überall an den Wänden hängen Informationstafeln zur deutschen Geschichte und zur Geschichte der einzelnen Gebäude. Man kann also eine Menge Zeit in den Katakomben verbringen, ohne dass einem langweilig wird. Auch gibt es in den Gebäuden viel Platz für Kunst, alte wie zeitgenössische, die die Räume der Gebäude füllen. Der Reichstag an sich ist ein riesiges Kunstwerk, da bedeutende Teile der deutsche Geschichte in seinen Mauern ruhen und auch die dunklen Episoden nicht ausgeblendet werden, sondern als Mahnmal in den Mauern stecken. So verbindet sich Geschichte (erhaltene Stücke der Mauer, Graffiti der Alliierten, etc.) mit neuer Architektur ( z.B. Glaskuppel, Band der Republik, die deutschen Achter, etc.). Der Zusammenhang von Vergangenem, Gegenwart und Zukunft ist hier greifbarer als kaum an einem anderen Ort. Hier erkennt man, dass es aus der Geschichte zu lernen gilt, um in der Gegenwart mutig handeln zu können, um für eine bessere Zukunft zu arbeiten. Und genau das findet in den Gemäuern des Reichstagsgebäudes statt.

In der Zweiten Woche verstand ich auf einmal, warum nicht jeder Bundestagsabgeordneter werden kann und will. Was zuvor noch einem gemäßigten Büroalltag glich, wurde nun zu einem Sitzungsmarathon mit einer scheinbar unüberschaubaren Menge an verschiedensten Terminen. Anstatt um 10 trafen wir uns nun um 8:30 und hatten eine Bürobesprechung. Jeder bekam einen vollen Terminkalender und jeder Termin wurde sehr genau besprochen.

Die Woche bestand aus einer großen Ansammlung von Arbeitskreis-Sitzungen, Fraktionssitzungen, Sitzungen der Ausschusses, Expertenanhörungen, Plenum: In meinem Kopf überschlugen sich die Themen. Ich war erstaunt darüber, wie man so viele Themen auf einmal in seinem Kopf haben kann: Vom Professorenbesoldungsreformgesetz über Netzneutralität zu Fehmarnbelt-Querung und das alles in nur einer Sitzung. Mir rauchte der Kopf. Doch fand Konstantin immer die richtigen Worte und konnte durch kritische und informative Bemerkungen und Zurufe seinen politischen Kontrahenten immer wieder Paroli bieten.

Nach den Sitzungen konnte ich mich mit Konstantin und seinen Mitarbeitern über das eben Gehörte unterhalten und Sie beantworteten mir meine vielen Fragen geduldig und erklärten mir die Hintergründe der Sitzungen. Manchmal stellte sich heraus, dass es in der Sitzung eigentlich um etwas ganz anderes ging als das, worüber gesprochen wurde. Mir wurde klar, dass Politik sich auf allen Ebenen abspielt. Zwischenmenschlich, zwischen den Arbeitskreisen, in der Fraktion und schließlich zwischen den Parteien. Um etwas bewegen zu können, muss man ständig an Kompromissen arbeiten, verhandeln und informiert sein. Die Aufgabe des Politikers ist es, in jeder Situation bereit zu sein, für seine politische Meinung einzustehen, dies ist ohne wissenschaftliche Mitarbeiter und den Hang dazu, sich für alles zu interessieren und Informationen förmlich aufzusaugen, nicht möglich. Dabei fällt es oft schwer, die Rolle, die man als politisch arbeitender Mensch inne hat, abzulegen, da jede Handlung, sei sie als Politiker getätigt, oder als Privatperson, letztendlich immer auch politisch ist.

Was mich faszinierte, war der Umstand, dass ich oft wenig Informationen über die kommenden Sitzungen in der Zeitung lesen konnte, ich war verwirrt, wollte ich mich doch ausreichend auf das Thema vorbereiten. Doch als ich aus der Sitzung kam und mich an meinen PC setzte waren die Medien voll von dem eben in der Sitzung Besprochenen. Da realisierte ich, dass Deutschland zum großen Teil aus diesen Gebäuden heraus gelenkt wird und dass alles was hier gesprochen und getan wird, später journalistisch aufgearbeitet, in den Rubriken Politik in den Medien dieses Landes und der Welt auftaucht. Da begriff ich einmal mehr, wo ich hier eigentlich gelandet war.

Ich traf zwischen den Sitzungen viele Politgrößen in ungewohnt vertrauten Situationen. Ich saß im Innenausschuss Innenminister Friedrich gegenüber, begegnete Peer Steinbrück auf dem Rollband und saß auf der Zuschauertribüne neben dem israelischen Botschafter, alles Menschen die ich nur aus dem Fernsehen kannte, hier war also der Ort an dem sie Wirkten.

Es gab Begebenheiten, die mir durch ihren besonderen Charakter in meinem Gedächtnis blieben.

Die Listenaufstellung von Konstantin ins grüne Spitzenteam für Schleswig-Holstein. Besonders faszinierte mich die im Vorfeld geschriebene Antrittsrede, die Konstantin auf der LMV halten wollte. Ich bekam mit, wie viel Fingerspritzengefühl man benötigt, um eine so persönliche Rede zu schreiben. Der Aufbau wurde durchgegangen, Formulierungen aufeinander abgestimmt, und auch komplett fertige Passagen konnten, wenn sie auf einmal nicht mehr zu passen schienen, geändert, gestrichen, oder durch neue, treffendere ersetzt werden. Über der Arbeit schwebte, wie ein Damoklesschwert, die angegebene Redezeit von 4 Minuten, die nicht über schritten werden durfte. Bei einer Antrittsrede geht es darum, die herrschende Stimmung im Saal aufzugreifen und die Menschen abzuholen, ihnen quasi aus der Seele zu reden, dabei aber die eigenen Standpunkte klar zu machen und seine Meinung nicht ständig zu ändern und so ihre Sympathie und ihr Vertrauen in die eigene Person zu gewinnen und zu stärken.
Konstantin hat diese Aufgabe sehr gut gelöst. Er wurde mit cirka 84% der Stimmen gewählt.

Die Feierlichkeit „30 Jahre Grüne im Bundestag“: Es war interessant zu sehen, welche Entwicklung die Grünen in diesen 30 Jahren gemacht haben. Welche Themen am Anfang ihrer Zeit sie zu dem Schritt geführt haben, mit einer politischen Partei in den Bundestag einziehen zu wollen und zu was für einer Partei sie nun geworden sind. Es waren viele hochrangige Politiker, Presse, Parteimitglieder und Freunde der Grünen da. Es wurden Reden und Grußwörter gehalten, ein Film richtete den Fokus auf die Zukunft und das weitere Schaffen der Grünen und es gab natürlich auch leckeres veganes, Bioessen. Ich lernte Konstantins Mitarbeiter aus seinem Wahlkreisbüro aus Mölln kennen und verstand mich mit ihnen auf Anhieb. Am Abend spielte Jan Delay zum Abschluss eines gelungenen Festes.

Die Fraktionssitzung der Grünen Es war spannend mal die gesamte Fraktion mit all ihren Arbeitskreisen und der Doppelspitze aus Renate Künast und Jürgen Trittin bei ihren Debatten zu beobachten. Es ist etwas kompliziert in die Fraktionssitzungen reinzukommen, da es viele grüne Abgeordnete gibt, doch der Raum sehr klein ist, es wird Zeit für einen Umzug in einen größeren Raum, um dem stetigen Wachsen der Partei gerecht zu werden. Hier konnte ich hautnah miterleben, wie aus vielen kleinen und kleinsten Problemen, die notwendigerweise diskutiert und entschieden werden müssen, eine fundierte Meinung entsteht, mit der sich alle Abgeordnete identifizieren können, und wie aus diesem langen politischen Prozess der Meinungsfindung am Ende durch die Presse eine knappe, mehr oder weniger gut passende, Schlagzeile entsteht, die dem Leser dann helfen soll, sich politisch zu informieren.

Auch war ich überrascht über den täglichen Datenstrom, der sich in digitaler wie gedruckter Typ über einen Abgeordneten und sein Büro ergießt. Um von ihm nicht weggerissen zu werden bedarf es eines effektiven Verfahrens, schnell zu erkennen, was wichtig ist, was interessant ist aber auch, was weggeschmissen werden kann oder was nicht gelesen werden muss. Wenn man alles lesen wollte, würde man an der schieren Flut ersticken. Gerade in unserem Informationszeitalter, wo sich der Datenstrom täglich verbreitert, wird diese Fähigkeit immer wichtiger. Mit welcher Leichtigkeit Bettina diese Aufgabe meisterte, verwunderte mich jeden Tag aufs Neue.

In meinen Augen ist genau das geschehen, was man durch ein gutes Praktikum erreichen will: Erzählungen werden zu Erfahrungen. Die mitunter sehr komplizierte Struktur des Bundestages wird zu erlebtem Alltag eines Abgeordneten. Ich möchte mich ganz herzlich für die spannende und erkenntnisreiche Zeit im Bundestag bei Konstantin, Bettina, Jörn und Nils bedanken. Mag ein Monat auch nicht sehr lang sein, so konnte ich doch viel für mein weiteres Leben an Erfahrungen und Eindrücken mitnehmen. Ich bedanke mich auch für die herzlich Aufnahme als Praktikant im Team und den allzeit freundlichen Umgang.

Ich hoffe sehr, dass ich es bald nochmal schaffen werde, euch einen kleinen Besuch abzustatten.

Bis dahin eine gute Zeit in Berlin und nochmals vielen Dank für die schöne Zeit

Mit hessischgrünen Grüßen aus Frankfurt am Main

Johannes