250. Sitzung, 27.06.2013, TOP 35:

Im Jahre 1911 widmete der große Schriftsteller und Lyriker Georg Heym das folgende Gedicht einem Freunde „zur Erbauung an stillen Sonntagen – ich zitiere: aus Teil II:

„Das Grundbuchamt

Des Grundbuchamtes winterliche Trauer,

Wenn in dem Märzwald wilde Vögel schrein,

Und durch die Fenster schaut der Tag herein.

Einäugig lehnt er an der nassen Mauer.

Und seine Hand, die durch die Scheiben bricht,

Die nicht zerbrechen, wandert durch den Saal,

Wo viele Schläfer ruhn mit Häuptern kahl,

Staub auf der Glatze, Staub auf dem Gesicht.

O düstrer Aktenstaub im Amts-Gericht,

Des dicker Rauch die alte Decke schwärzt,

Und der erstickt das graue Morgenlicht.“

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen versichern, dass dieses wundervolle Gedicht, dass ich angesichts der mir zur Verfügung stehenden begrenzten Zeit nicht in voller Länge vortragen darf, insgesamt nicht viel heiterer wird, sondern sich noch in weitaus düstere Abgründe hinein begibt.

Heym verarbeitete in diesem Werk seine im Jahr 1911 abgelegte Referendarstation beim Berliner Grundbuchamt. 100 Jahre später möchten wir, versunken im Zwiegespräch mit dem viel zu früh verstorbenen Georg Heym, diesem im besten aufklärerischen Gestus entgegenhalten:

Aber das stimmt doch nicht länger! Der Fortschritt ist unaufhaltsam, wir haben doch gerade im Bereich der Grundbuchämter das E-Government eingeführt!

Und die Umstellung der papiernen, ergo staubigen Grundbücher auf elektronische Datenhaltung wurde in den zurückliegenden zehn Jahren bereits weitgehend vollzogen, auch wenn die Länder hierbei unterschiedliche Geschwindigkeiten und Verfahren vorgelegt haben.

Im nächsten Entwicklungsschritt zielt die jetzt vorgelegte Reform der Bundesregierung auf eine unstaubige, elektronische „strukturierte Datenhaltung“ in der Form vorgegebener Standards und erweiterter Darstellungsformen der Inhalte sowie auch auf erweiterte elektronische Abrufmöglichkeiten. Ziel ist eine weitere Beschleunigung der Bearbeitungsverfahren und damit in erster Linie eine Erleichterung für die Grundstückswirtschaft und die dabei insbesondere und zumeist beteiligten Banken und Notare.

Angesichts des vom Bundesjustizministerium eingeräumten, enormen personellen und finanziellen Aufwandes der weiteren Elektronisierung ist dieser weitere Schritt des E-Government in Zeiten knapper Kassen keineswegs selbstverständlich. Juristen sind es schließlich seit über 100 Jahren gewohnt, Aktenstaub zu inhalieren, auch wenn nicht alle diese traumatisierenden Erfahrungen so luzide zu beschreiben vermochten wie Georg Heym.

Zutreffend weist allerdings u.a. das für die Umsetzung des Datenbankprojekts federführende bayrische Staatsministerium auf die gewaltige Anzahl von Vorgängen hin, die in den Grundbuchämtern täglich anfallen.

Durch weitere Digitalisierungen könnte potentiell auch ein geringerer Aufwand erzielt werden. Auch im europäischen Vergleich zeichnet sich insgesamt eine gesteigerte Reformbereitschaft für den Bereich des Grundbuchwesens ab, weil die Schnelligkeit der Abwicklung als im wahrsten Sinne standortrelevant angesehen wird. Dies vermag nicht nur Unternehmen und Investoren zugute zu kommen, sondern auch Privatleuten mit Immobilienbesitz.

Freilich handelt es sich um ein auf Jahrzehnte angelegtes Projekt, das in besonders hohem Maße Bedenken provozieren wird. Erfahrungen mit staatlichen IT-Projekten wie z.B. DE-Mail oder ELENA zeigen die Probleme auf. Allerdings gibt es mit dem elektronischen Handelsregister auch ein zum Teil vergleichbares, bislang recht erfolgreich verlaufenes Projekt.

Die angesichts der gewaltigen Bestände von 38 Millionen Grundbüchern ehrgeizige Umstellung auf eine strukturierte Datenbankhaltung verspricht viele Vorteile, darunter die Flexibilisierung der Darstelllungen des Grundbuchinhaltes, die Einbindung in den elektronischen Rechtsverkehr und damit z.B. die Online-Recherchierbarkeit der Inhalte, die weitergehende Unterstützung der Grundbuchführung und die Vereinheitlichung u.a. der Darstellungsformen.

Gleichwohl muss der rechtlich komplexe Rahmen des Grundbuchrechts in Gestalt formeller wie materieller Anforderungen erhalten bleiben, weil damit konfligierende, zum Teil auch verfassungsrechtlich vorgegebene Rahmenvorgaben zum Ausgleich gebracht werden müssen.

Soweit ersichtlich wurde dies im Entwurf ausreichend berücksichtigt. Den berechtigten Bedenken insbesondere des Bundes deutscher Rechtspfleger hinsichtlich der sachlichen Unabhängigkeit des Rechtspflegers wurde, soweit erkennbar, im Änderungsantrag durch eine öffnende Verordnungsermächtigung Rechnung getragen.

§ 71 a Abs. 2 Nr. 3 der Grundbuchverfügung zwingt die Grundbuchämter allerdings zu einer Aktualisierung von Angaben in der zweiten und dritten Abteilung des Grundbuches. Diese Anforderung stellt nach zwei übereinstimmenden Stellungnahmen im erweiterten Berichterstattergespräch eine Überforderung der Grundbuchämter dar und es wird empfohlen, zumindest eine korrespondierende Mitwirkungspflicht der Katasterämter festzuschreiben. Mit Blick auf die tiefgreifenden Veränderungen besteht ohnehin eine Pflicht des Gesetzgebers zur Beobachtung der Umsetzung. Hier sollte ggf. nachgebessert werden.

Das Grundbuch ist ein Rechtslagenregister. Seine Aussagen beziehen sich auf den Bestand der eintragungsfähigen Rechte und Vermerke, nicht etwa auf Grundstückstatsachen wie Lage, Nutzungsart und Grundstücksfläche; für letztere ist das Kataster als öffentliches Register maßgebend. Das Grundbuch als Spiegel aller Rechtsverhältnisse am Grundstück ist mit einer Vermutungs- und Gutglaubenswirkung ausgestattet. Mit dem Begriff will man verdeutlichen, dass dingliche Rechte nach außen hin über einen Publizitätsträger erkennbar sind. Publizitätsmittel ist bei Grundstücken das Grundbuch. Das Grundbuch ist in erster Linie ein Instrument des Rechtsverkehrs. Grundbuch und Grundakten enthalten eine Fülle von Informationen aus dem persönlichen, familiären, sozialen, finanziellen, rechtlichen und wirtschaftlichen Bereich des Grundstückseigentümers, also der Individualsphäre des dinglich Berechtigten. Die Preisgabe dieser Daten gegenüber Dritten greift in sein informationelles Selbstbestimmungsrecht ein und bedarf stets eines Rechtfertigungsgrundes.

Der Datenschutz ist im Grundbuchrecht deshalb ein wichtiger Faktor, der zu einer umfänglichen Entscheidungspraxis auch der Datenschutzbeauftragten in den Ländern geführt hat. Diese Praxis darf durch die Schaffung einer den technischen Möglichkeiten nach voll recherchierbaren Datenbankstruktur, die zweifellos viel Potential für innovative Anwendungen bietet, keinesfalls unterlaufen werden. In der weiteren technischen Umsetzung sollte deshalb darauf geachtet werden, in enger Abstimmung mit den Landesdatenschutzbeauftragten vorzugehen.

Das mit dem Entwurf zur rechtlichen Klarstellung eingeführte Auskunftsrecht ist zu begrüßen, weil es die grundlegende Bedeutung der Transparenz gegenüber dem dinglich Berechtigten unterstreicht. Auch die weitgehenden Protokollierungspflichten, die entsprechend auch bei anderen datenschutzsensiblen Datenbanklösungen zur Anwendung kommen, um Zugriffe nachvollziehbar zu halten, sind dem Grundsatz nach zu begrüßen. Allerdings erscheint die erweiterte Speicherpflicht für Protokolldaten auf bis zu zwei Jahre als zu lang, weil die mit der Dauer der Speicherung einhergehenden, steigenden Risiken des missbräuchlichen zweckentfremdenden Zugriffs z.B. durch Behördenleitungen zu weit gehen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einmal Georg Heym zitieren, diesen großartigen, mit dem Grundbuchwesen so hadernden Dichter:

„Mit großen Federn hinterm morschen Ohre,

Wenn dumpf der Mitternächte dunkle Hore

Vom Turme langsam hallt ins stille Land.

Dann sitzen sie im Grundbuchamt in Scharen

Am langen Tisch. Sie schmieren Protokolle.

Und riesig häuft es sich von Formularen.

Kataster, Reinertrag, mit Windesschnelle.

Abteilung III. Grundsteuermutterrolle,

Und fröhlich wächst Parzelle auf Parzelle.“

Den Hoffnungen der Moderne, den unstrukturierten „Protokollen und Formularen“ mit Digitalisierung beikommen zu können, wollen wir hier das Wort nicht reden. Die Gegenwart zeigt uns gleichwohl in Gestalt von PRISM und TEMPORA bereits grundlegende Ambivalenzen dieser Entwicklungen auf. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, in kluger Vermessung der Chancen und Risiken eine zeitgemäße Technisierung der Verwaltung zu gewährleisten und rechtliche Rahmenvorgaben zu machen. Dem Grundbuchamte mag dies beizeiten zu besserem Rufe verhelfen. Bis ein anderer empfindsamer Geist sich berufen fühlen wird, dann das durchdigitalisierte Grundbuchamt zum Gegenstand seiner Betrachtungen zu machen.

Herzlichen Dank!