PK1 Konstantin_Überwachungsplakat kleinIn den Koalitionsverhandlungen will Innenminister Friedrich die Ausweitung der Überwachung durchsetzen. Das ist angesichts des NSA-Skandals nicht nur frech, sondern auch verfassungsrechtlich bedenklich, findet Grünenpolitiker Konstantin von Notz. Sein Debatten-Beitrag in der Berliner Zeitung bzw. Frankfurter Rundschau vom 13. November kann auch hier nachgelesen werden.

Gastbeitrag: Konsequenzen aus dem Ausspäh-Skandal – die Überwachungsgesamtrechnung neu aufmachen

von Konstantin von Notz (Grüne)

Was in den letzten Tagen aus Reihen der großkoalitionären Verhandler an Gedankenspielen das Licht der Öffentlichkeit erblickte, lässt einen Böses ahnen. Ganz besonders gilt dies für den Bereich der Innenpolitik und des Datenschutzes. Besonders hervorgetan hat sich hier einmal mehr Bundesinnenminister Friedrich, der neuerdings immer dann besonders in Erscheinung tritt, wenn es darum geht, Bürgerrechte einzuschränken und die Befugnisse der Sicherheitsbehörden auszuweiten.

So wurden zwischenzeitlich Überlegungen zur raschen Wiedereinführung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung bekannt, die die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellt, aber auch zur Kontrolle des Internetdatenverkehrs direkt an den großen Knotenpunkten oder, wie zuletzt, zur Auswertung der im Zuge von Mauterhebungen anfallenden Daten.

Ungeachtet der derzeitigen Diskussionen um den größten Datenschutz- und Geheimdienstskandal, den die westlichen Demokratien jemals erlebten, vergeht kaum ein Tag, an dem sich der Innenminister nicht an irgendein Instrument aus der konservativen Law & Order-Mottenkiste erinnert. Im Zuge der derzeitigen Verhandlungen zieht Friedrich ein daten- und verfassungsrechtlich höchst bedenkliches Vorhaben nach dem anderen aus dem Hut.

Nutzung der Mautdaten für Sicherheitszwecke? Darauf hatte selbst Schäuble bei der Einführung im Jahr 2005 nicht bestanden! Vorratsdatenspeicherung? Hatte das Bundesverfassungsgericht vor Jahren kassiert und in Kürze steht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Frage an, ob dieses Instrument überhaupt mit geltendem EU-Recht vereinbar ist! Ausweitung der Datenüberwachung auf Knotenpunkte samt Zugriff durch Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern? Exakt über derartige NSA-Praktiken echhauffiert sich doch gerade – vollkommen zurecht –  die ganze Welt!

Sprachrohr der Sicherheitsbehörden, nicht der Bürger

All das scheint Hans-Peter Friedrich nicht anzufechten. Sein Vorgehen wirkt völlig orientierungslos: Wird der Druck hinsichtlich der von ihm eingebrachten, erratischen Vorschläge zu groß, wird die eigene sicherheitspolitische Agenda schnell zum reinen Gedankenspiel irgendeines überambitionierten Referenten ausgegeben – ohne zu sagen, wie diese Papiere dann den Weg an den großkoalitionären Verhandlungstisch fanden. Diese ständige Umetikettierung eigener sicherheitspolitischer Vorschläge ist peinlich und zeigt die Kopflosigkeit im Bundesinnenministerium.

Das von ihm kürzlich ersonnene „Supergrundrecht Sicherheit“ scheint einziger Maßstab der Überlegungen des Innenministers zu sein. Eine rationale Innenpolitik auf Grundlage tatsächlicher Bedrohungsanalysen findet seit Jahren nicht statt. In seine Rolle als Verfassungsminister scheint Friedrich gar nicht mehr finden zu wollen. Daran konnte auch seine neue Zuständigkeit, er ist nach dem Wegzug von Ministerin Aigner nach Bayern zurzeit zusätzlich auch für Verbraucherschutz zuständig, nichts ändern.

Der Bundesinnenminister macht sich immer wieder zum direkten Sprachrohr der Sicherheitsbehörden und übernimmt ihre altbekannte Sprache eins zu eins. Selbst die sicherheitspolitischen Hardliner in den Reihen der SPD, die sich ansonsten programmatisch kaum von der Union unterscheiden, aber auch die Unionskollegen haben erkannt, dass derzeit Datenschutz und Datensicherheit die Gebote der Stunde sind – nicht Law & Order und Bürgerrechtsabbau.

Einzelfälle sollten schon „Netzsperren“ begründen

Bundesministerium des Innern in Berlin

Bundesministerium des Innern in Berlin

Die Diskussion um die Auswertung der Mautdaten hat die ganze Konzeptlosigkeit Friedrichs noch einmal offenbart: Die – wohlgemerkt vom Gesetzgeber 2005 sehr bewusst eingezogene – strenge Zweckbindung sei „nicht mehr zeitgemäß“, so der Innenminister. Dass die Möglichkeit der Auswertung dieser Daten den Sicherheitsbehörden nicht als Instrument zur Verfügung stünde, würde die Aufklärung von „Kapitalverbrechen oder zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben“ massiv erschweren.

Das Vorgehen ist immer dasselbe: Als Legitimation für neue Befugnisse der Sicherheitsbehörden wird allein mit Einzelfällen argumentiert und ansonsten auf die Einschätzungsprärogative der Regierung gesetzt. Was bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung oder auch sogenannten Netzsperren in den letzten Jahren immer wieder der Hinweis auf nicht verfolgbare Fälle von Kinderpornographie war, ist bei der angestrebten Öffnung der Mautdaten der „Auto-Transporter-Fall“, bei dem ein Täter über Jahre wahllos auf Verkehrsteilnehmer und ihre Fahrzeuge schoss und Personen schwer verletzte. Sicherlich ist denkbar, dass der Täter schneller gefasst worden wäre, wenn die Strafverfolgungsbehörden auf die Daten von Toll-Collect hätten zugreifen können. Wir wissen es schlicht nicht.

Dennoch muss – darauf machen wir unter Verweis auf die bemerkenswert dichte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit Jahren aufmerksam – gerade in diesen verfassungsrechtlich sensiblen Bereichen, bereits der Gesetzgeber selbst stets die Verhältnismäßigkeit abwägen. Dem verweigert sich der Innenminister, indem er wiederholt mit dem Einzelfall argumentiert und auf die schwierigen Fragen der Umfunktionierung ganzer Infrastrukturen zu Überwachungssystemen keine Antwort findet.

Nicht Snowden spielt Terroristen in die Hände, sondern der Kontrollwahn

Dabei wissen wir seit langem: Der Einzelfall ist der denkbar schlechteste Ratgeber des Gesetzgebers. Er dient ersichtlich  der emotionalen „Lufthoheit“ in der Debatte, kann aber rechtlich schlicht kein alleiniger Maßstab sein. Das weiß auch Innenminister Friedrich – und hält dennoch seit Jahren an diesem höchst fragwürdigen Vorgehen fest.

Es ist völlig klar, auch Deutschland könnte das Ziel eines terroristischen Anschlages werden. Diese Gefahr ist real. Die Antwort auf die Frage, wie man dieser Gefahr begegnet aber, unterscheidet Rechtsstaaten von Unrechtsstaaten. Nicht ein Whistleblower wie Edward Snowden spielt Terroristen in die Hände, wie es gerade erneut die Chefs britischer Geheimdienste behauptet haben. Die systematische Aushebelung der verfassungsmäßig geschützten Bürgerrechte durch Geheimdienste tut es. Denn sie delegitimiert den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat, die Staats- und Gesellschaftsform, die  Fundamentalisten so verhasst ist.

Wie schütze ich meine Daten im Internet?

Kabel mit grünem Flyer - Prism, DigitalisierungSeit dem 11. September 2001 erleben wir die ständige Ausweitung von Sicherheitsgesetzen. Die Grünen hatten sehr bewusst nachträgliche Überprüfungen der damals eingeführten Maßnahmen eingezogen – doch folgenden Regierungen haben sie weitestgehend ignoriert. Eine tatsächliche Evaluierung der bestehenden Sicherheitsgesetze durch unabhängige Seite hat bis heute nicht stattgefunden.

Sie wäre aber dringend angeraten. Stattdessen erleben wir seit Jahren eine anhaltende Ausweitung von Kompetenzen der Sicherheitsbehörden. Dass sich diese sich verselbstständig haben und ihre parlamentarische Kontrolle verbessert werden muss, wissen wir spätestens seit den Skandalen um NSU und NSA. Die notwendigen Konsequenzen aus diesen schmerzhaften Erfahrungen zieht man bislang nicht – das gilt auch für die jetzigen Koalitionsrunden.

Verfassungsgericht warnt vor „diffusem Gefühl des Beobachtetseins“

Das Bundesverfassungsgericht warnt in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vor einem „besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“. Allein ihre Existenz, so das Bundesverfassungsgericht weiter, könne „ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorrufen“.

Trotzdem will Innenminister Friedrich gleich mehrere Vorratsdatenspeicherungen (wieder-) einführen. Es möge jede und jeder prüfen, ob er sich in den letzen Tagen dabei erwischt hat, zu hinterfragen, welche Art seiner Kommunikation eigentlich (noch) sicher ist.

Das Karlsruher Verfassungsgericht schrieb dem Gesetzgeber in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung eine weitere, dieser Tage viel zu wenig beachtete Mahnung ins Stammbuch: Der Gesetzgeber müsse derartige Datenspeicherungen immer im Kontext einer „Überwachungsgesamtrechnung“ beleuchten. Und käme die Vorratsdatenspeicherung, so sei das rechtsstaatlich noch hinnehmbare Maß bereits voll. Innenminister Friedrich scheint die dem Gesetzgeber klar aufgetragene Mahnung weiterhin ignorieren zu wollen.

Höchste Zeit, sich von der Datenspeicherung zu verabschieden

Angesichts der Enthüllungen der vergangenen fünf Monate und der Gewissheit, dass uns diese Debatte noch lange begleiten wird, ist es überfällig, die vom höchsten deutschen Gericht angemahnte Überwachungsgesamtrechnung neu aufzumachen. Es wäre höchste Zeit, die eigene sicherheitspolitische Agenda grundlegend zu hinterfragen.

Es wäre höchste Zeit, sich von bürgerrechtlichen Gruselstücken wie der Vorratsdatenspeicherung ein für allemal zu verabschieden. Es wäre höchste Zeit, einer immer weiter ausufernden Überwachung tatsächlich etwas entgegenzustellen, statt sich am Vorbild NSA zu orientieren und so eine Überwachungsspirale in Gang zu setzen.

All dies scheinen der Innenminister, aber auch Kanzlerin Merkel, die ihren Minister bislang vollkommen weitestgehend unbeirrt walten lässt, noch immer nicht verstanden zu haben. Ihr Sicherheitsverständnis bleibt erschreckend eindimensional.

Dabei liegt der eigentliche Fall für jeden offensichtlich auf der Hand: Es geht um die Massenausspähung der Bundesbürgerinnen und -bürger, der Regierung sowie der bundesdeutschen Wirtschaft durch verbündete Nationen. In Abwehr dieser geheimdienstlichen Übergriffe müsste die Bundesregierung endlich alle Register ziehen, um der Erosion unseres Rechtsstaates Einhalt zu gebieten und der Herrschaft des Rechts wieder Geltung zu verschaffen.

Stattdessen verwalten Friedrich  und Merkel die Altbestände konservativer Innenpolitik und verweigern weiterhin wirksamen Daten- und Grundrechteschutz. Die ganze Dimension dieses ungeheuerlichen Skandals hat die mit allem Digitalen weiter fremdelnde Bundesregierung auch fünf Monate nach Bekanntwerden der ersten Enthüllungen und trotz täglich neuer Hiobsbotschaften noch immer nicht erkannt.

Es ist höchste Zeit ist, den Daten- und Verbraucherschutz zu einem Kernanliegen der nächsten Legislaturperiode zu machen. Dem gesamten Grundrechtskatalog muss vor dem Hintergrund der weiter zunehmenden Digitalisierung tatsächlich Geltung verschaffen werden. Die Frage ist, welche Dimensionen der Überwachungs-Skandal ernst noch annehmen, ehe auch Kanzlerin Merkel das endlich versteht.