106. Sitzung, 21.05.2015, TOP ZP 4: Aktuelle Stunde – Haltung der Koalitionsfraktionen zur Freigabe der NSA-Selektoren-Liste im Hinblick auf mögliche Ausspähungen von Wirtschaft und Politik

Konstantin von Notz‘ Rede können Sie hier anschauen und finden Sie hier im Wortlaut:

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich Sie so höre, Herr Strobl, möchte ich doch mal zum Thema reden. Ich fange mit einem Zitat aus dem Staatsrechtskommentar von Maunz/Dürig an, der auf das Bundesverfassungsgericht verweist – das interessiert offensichtlich auch den Kollegen Mayer –:

(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wie alles, was Sie sagen! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Untersuchungsverfahren ermöglichen es dem Parlament,

… unabhängig von Regierung, Behörden und Gerichten mit hoheitlichen Mitteln, wie sie sonst nur Gerichten und besonderen Behörden zur Verfügung stehen, selbständig die Sachverhalte zu prüfen, die sie in Erfüllung ihres Verfassungsauftrags als Vertretung des Volkes für aufklärungsbedürftig halten.

(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Bis jetzt war alles richtig!)

So sehen wir das, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns geht es nicht um Diffamierung, nicht um Skandalisierung, nicht um schrille Töne, wie wir sie in den letzten Wochen von Union und SPD hören; Sie hören sie von uns nicht. Wir klären auf und suchen die Verantwortlichen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ströbele! Gezielte Irreführung!)

Eines können wir allerdings heute mit Sicherheit sagen, Herr Kollege Strobl – wenn Sie mal im Ausschuss vorbeischauen, werden Sie es auch mitbekommen –: Zehn Jahre wurde bei der Fach- und Rechtsaufsicht des Bundeskanzleramtes über den Auslandsgeheimdienst geschlampt. Die rechtswidrige Übergriffigkeit der NSA in der Kooperation ist seit 2005 bekannt. Man kannte die Probleme mit Selektoren wie „Eurocopter“ und „EADS“, bei Inhalts- und Metadaten, die mangelnde Rechtssicherheit im Hinblick auf G 10 und den völlig unzureichenden Schutz deutscher und europäischer Interessen. Aber allerspätestens seit den Snowden-Veröffentlichungen im Sommer 2013 unterließen Sie vorsätzlich notwendige Korrekturen bei der Kooperation, und das fällt voll in die Verantwortung der Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Manipulation der Wahrheit – wir nennen es einmal so – im Wahlkampf durch Herrn Pofalla, Herrn Seibert und eben auch Frau Merkel bezüglich des -No-Spy-Abkommens fällt jetzt völlig zu Recht auf sie zurück und kratzt an ihrer Glaubwürdigkeit. Aber die -Irreführung hat System: Am 24. Oktober 2013, nachdem es um ihr eigenes Handy ging, sagte Frau Merkel den inzwischen sehr bekannten Satz: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Erst danach, nachdem sie das in die Kamera gesagt hat, gab man im BND die Parole aus: Ausspähen von europäischen Freunden, das lassen wir zukünftig mal lieber. – Das muss man sich einmal vorstellen! Das war keine Aufklärung; das dokumentiert schlicht die mangelnde Führung und Aufsicht der -Bundeskanzlerin in Bezug auf den Geheimdienst, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Trotz der eindeutigen Erkenntnisse dank Edward -Snowden unterließ sie es nach der Bundestagswahl und nach der Leistung des Amtseids, die deutschen und europäischen Interessen vor rechtswidriger Spionage zu schützen. Darum geht es, Herr Strobl: nicht um Terrorismusbekämpfung, sondern um rechtswidrige Spionage. – Sie haben sich nicht gekümmert, es wurde nicht nachgefragt, Sie haben nicht nachgehakt, es wurde nichts geprüft. Dieses Durchwurschteln ist der erklärte Politikstil der Bundeskanzlerin. Das fällt Ihnen nun voll auf die Füße, und das schadet dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Das ist das Versagen von Frau Merkel, und das macht diese Affäre auch zu ihrer Affäre.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nur darum geht es Ihnen ja!)

All dies klärt der Untersuchungsausschuss sehr erfolgreich auf. Deswegen brauchen wir auch keinen Sonderermittler. Wir brauchen die Liste, die hier das Thema ist, Herr Strobl. Sowohl die Kanzlerin als auch der Vizekanzler – der Kollege Korte hat es gesagt – haben öffentlich zugesichert, dass wir diese Liste bekommen. Es geht um die Rechte des Parlaments, und die sind für uns nicht verhandelbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Diese verfassungsrechtlich verbrieften Rechte kann man auch nicht durch Diffamierungen und Unterstellungen, Herr Strobl, kleinreden oder kleinmachen. Geheimhaltung ist in bestimmten Fällen total angezeigt – Sie werden hier niemanden finden, der dem widerspricht –;

(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Gut wäre, wenn man sich auch daran hielte!)

aber Transparenz ist auch ein hohes Gut. Die Geheimhaltung ist die Ausnahme, nicht die Regel. Wenn hier über WikiLeaks geredet wird, muss man sagen: Der Vorgang war nicht in Ordnung. Aber war es ein Skandal, wie Herr Kauder es gesagt hat? Ist es ein Skandal, wenn Protokolle eines öffentlichen Teils einer Sitzung eines dem Öffentlichkeitsgrundsatz verpflichteten Gremiums öffentlich werden? Oder versuchen Sie einfach, auf -Kosten des Parlaments abzulenken, wenn Sie mit dieser hintertriebenen Art argumentieren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das ist mein starker Verdacht. Sie reden nicht zur Sache. Sie lenken ab. Wo sind Ihre Aussagen zur Nichtinformation und Umgehung des zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums, zum Zugriff auf die Glasfaserkabel in Frankfurt ohne ausreichende Gesetzesgrundlage, zu Zehntausenden von illegalen Suchbegriffen, mit denen offenbar Verbündete und Freunde in Europa mittels BND ausgespäht wurden?

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege, denken Sie an die Zeit.

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Dazu sagen Sie nichts. Das sind die Dinge, um die wir uns hier als Parlamentarier kümmern müssen.

Ich sage Ihnen: Überwachung ist ein schleichendes Gift für eine Demokratie und für einen Rechtsstaat, wie Deutschland es ist. Wir müssen sie als Parlamentarier gemeinsam bekämpfen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)