Ortsumgehungen völlig ungewiss, realistische Alternativen angehen

Der neue Bundesverkehrswegeplan steht an und damit auch der lokale Schönheitswettbewerb, welche Bürgermeisterin oder welcher Wahlkreisabgeordnete sich am meisten für „unsere“ Ortsumgehung oder Autobahn in der Region einsetzt. Ein Schneckenrennen voller schönklingender, aber leider ebenso kurzsichtiger wie illusorischer Versprechungen. Derweil zerfällt auf unseren alltäglichen Arbeits- und Lebenswegen die bestehende Infrastruktur und die wenigen Mittel versinken in milliardenschweren Prestigeprojekten wie dem Belt-Tunnel.

Groteske Beispiele für dieses Planungschaos finden sich an praktisch jeder Ecke: In meinem Wahlkreis konkurrieren u.a. die seit Jahr(zehnt)en diskutierten Pläne für Ortsumgehungen bei Schwarzenbek, Lauenburg, Geesthacht und Ratzeburg. Allen Projekten gemein ist ein langer Weg mit vielen immer wieder enttäuschten Hoffnungen, höchst fragwürdigen Kosten-Nutzen-Verhältnissen und lange absehbaren Komplikationen – von der bundesweiten Konkurrenz um´s wenige Geld einmal ganz abgesehen.

Verwaiste Innenstädte, zersiedelte Landschaften…

Denn der Trend zu immer neuen Discountern, Gewerbeflächen und Neubaugebieten auf der „grünen Wiese“ hat zu wenig lebenswerten, oft verwaisten aber viel durchfahrenen Innenstädten geführt und in der Folge zu noch mehr Umgehungsstraßen. Allerdings sind die schnell geforderten Umfahrungen kein Patentrezept. Flächenfraß, Verlärmung anderer Ortsteile und noch mehr angezogener Verkehr aus der ganzen Region drohen – neben den hohen Kosten bei Bau und Unterhalt. Selbst die notorisch bauwütigen CSU-Verkehrsminister steuern mittlerweile zaghaft im Verkehrshaushalt um. Nachdem wohl fast jeder bajuwarische Landrat einmal ein Eröffnungsband durchschneiden durfte, will sich Verkehrsminister Dobrindt nun doch etwas mehr um den allzu augenscheinlich baufälligen Bestand der bundeseigenen Infrastruktur kümmern. Obgleich er den dringend gebotenen Wandel wegen der heftigen Begehrlichkeiten von vor Ort nur sehr langsam angeht – absehbar sinken damit die Chancen für die die vielen Umgehungswünsche nur noch weiter.

So verständlich die Nöte lärmgeplagter Anwohner und besorgter Eltern von Schulkindern an den Durchfahrtsstraßen auch sind – sehenden Auges in jedem Ort jeweils das Blaue vom Himmel zu versprechen und dann auf den St. Nimmerleinstag zu warten, hilft außer Ankündigungspolitikern niemandem etwas. Stattdessen wäre den Betroffenen mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme und einer konsequenten Verkehrswende weitaus mehr gedient. Wie wäre es mit einem vielleicht kleineren, dafür aber raschen und effektiven Plan B vor Ort?

Umgehung Geesthacht: Viele Versprechen, viele Enttäuschungen

Das dies der oftmals erfolgversprechendere Weg ist zeigen exemplarisch die jüngsten Verwicklungen rund um Geesthacht: Hier soll auf wenigen Kilometern mit vielen Millionen Euro der ökologisch so sensible wie bautechnisch problematische Geesthang durchschnitten werden. Naturschützer und betroffene Durchfahrtsgemeinden wie Hohenhorn drohen mit Klagen. Den immensen Kosten stehen die Fakten der Verkehrszählung gegenüber: Das Aufkommen ist relativ gering und größtenteils innerstädtisch. Selbst wenn die Umgehung eines Tages in einem weiten Schwung um die Stadt käme, die Entlastungswirkung im Zentrum ließe wohl lange auf sich warten.

Mit der Planung sieht es nicht besser aus. Jahrelang fehlte der „Gesehenvermerk“ aus dem Bundesministerium. Mit diesem ist man einer Finanzierung zwar keinen Schritt näher gekommen, aber ohne ihn geht es sowieso nicht. In der jahrelangen Wartezeit brachte mein Wahlkreiskollege Norbert Brackmann vorsorglich schon ein paar Sparvorschläge ein. Denn als Budgetexperte ist ihm die Endlichkeit eines jeden Bundeshaushalts durchaus bewusst – aber ebenso die Möglichkeit für eine schnelle und kostenlose Schlagzeile in der Lokalzeitung. So diskutierte die Stadt vergeblich über „kleine“ und „große“ Lösungen. Die würden alle zwar nur noch mehr LKWs anziehen, die dann nur andere Ortsteile verlärmen – aber die Umsetzung liegt ja so oder so in weiter Ferne.

Umso mehr ein Grund, munter neue Hoffnungen mithilfe des großen Investitionspakets der Großen Koalition zu wecken – das ist freilich eher ein Päckchen für den riesigen Investitionsstau im ganzen Land und hängt mit den konkreten Aussichten für Geesthacht schlichtweg nicht kausal zusammen. Egal, die Geesthachter SPD sprang dankenswerterweise drauf an. Wieder Neuigkeiten ohne großen Aufwand, geschweige denn einen konstruktiven Lösungsvorschlag.

Realistischer Plan B – statt trügerischer Neubau-Träume

Mein grüner Wahlkreiskollege aus dem Landtag, Burkhard Peters, vertrat mich Ende April vor Ort. Der Besuch an der Straße sollte die letzten Zweifler überzeugen – nur, noch so viele Autos ändern nichts an den Haushaltsrealitäten, so sein Fazit: „Mein Besuch hat klar gezeigt: Wie immer man auch zur Umgehung steht, dass sie eines fernen Tages kommt, ist mehr als ungewiss. Die Befürworter sollten sich endlich ehrlich machen und sagen, woher bis wann das Geld kommen soll. Statt auf Jahre hingehalten zu werden, brauchen wir jetzt einen realistischen Plan B.“

Hier machten die Geesthachter Grünen am Rande des Treffens durchaus konkrete Vorschläge: Statt immer noch mehr Autoverkehr in die Stadt zu holen, müssen wir mit den Anrainern kleinere, aber rasche Lösungen vor Ort finden: Nur eine verbesserte Verkehrsführung auf den bestehenden Straßen, vor allem aber mehr Busverbindungen und mittelfristig die Bahn nach Bergedorf helfen ganz Geesthacht schnell und spürbar – das zeigen die guten Erfahrungen mit einem Bahnanschluss in Schwarzenbek.

Dann flatterte er doch noch herein, der lang erwartete Gesehenvermerk. Zwar hat sich damit in der Sache nichts geändert – bis auf die Vegetation in den letzten fünf Jahren, was eine einjährige Beobachtung von örtlicher Flora und Fauna nötig macht. Also nochmal ein Jahr länger warten. Dennoch waren die Jubelmeldungen schnell versandt. Kurze Zeit später kam der Staatssekretär aus dem Kieler Verkehrsministerium, Frank Nägele, ins benachbarte Schwarzenbek, um Klartext zu reden und den Umgehungen in Geesthacht wie auch in Ratzeburg so gut wie keine Chancen einzuräumen.

Dann redet ein Staatssekretär Klartext

Diese Neubauten kommen schlichtweg wohl nie und auch die Entlastung Schwarzenbeks liegt weiter in ferner Zukunft. Schuld daran tragen weder Landesplaner noch Naturschützer, sondern eine seit Jahrzehnten verfehlte Verkehrspolitik. Wer sich mit viel Aufwand und Geld fragwürdige Großprojekte wie A 20 oder Fehmarnbelt-Querung verausgabt, hat eben keine Kapazitäten mehr für die marode Bundesstraße oder Bahnbrücke vor der Haustür. Der Bundesverkehrswegeplan gleicht einem illusorischen Wunschzettel – zumal er zu lange schon in schlechten Händen bayerischer Bundesminister liegt. Die widmen sich lieber einer nutzlosen Ausländer-Maut als mautflüchtenden LKWs, eher milliardenteuren Prestigeprojekten als den ebenso zahlreichen Straßen- und Brückenschäden. Im Bundestag haben wir konkrete Konzepte gegen diese chronische Schönrechnerei und chaotische Stückelfinanzierung vorgelegt.

In Geesthacht pfeift man derweil im dunkeln Wald der bundesdeutschen Mangelverwaltung weiter vor sich hin: Überholte Kartierungen werden abermals beauftragt, dann steht die Planfeststellung an – am Ende aber die Frage, ob es Geld aus Berlin gibt…

Die Kommunalpolitik sollte sich nicht noch weiter jahrelang vom Bund hinhalten lassen und besser selbst realistische Alternativen angehen. Wir brauchen ein ortsübergreifendes Konzept mit raschen Maßnahmen – das Schneckenrennen zwischen den Städten nützt niemandem.