Das Thema Störerhaftung ist seit Jahren Gegenstand intensiver politischer Debatten. Im März hat die Bundesregierung nach jahrelangem Stillstand endlich einen Gesetzentwurf vorgestellt. Doch alle im Vorfeld geäußerten Befürchtungen sind tatsächlich eingetroffen. Schnell war klar: Dieser Entwurf wird letztendlich niemandem helfen. Er wird dafür sorgen, dass letztlich weniger statt mehr Menschen ihre Netze öffnen. Die bestehende Rechtsunsicherheit behebt er nicht. Zudem spielt die Bundesregierung mit dem Gedanken, die Provider zu „Hilfssheriffs“ zu machen. Damit geht der Entwurf insgesamt in die völlig falsche Richtung. Deutlich wird erneut, dass die Bundesregierung mit den Herausforderungen des digitalen Wandels maßlos überfordert ist, hat ihn durch diese Vorlage endgültig geliefert bekommen.

An dieser Stelle dokumentieren wir meine Rede, die ich im Zuge der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung gestern zu Protokoll (pdf, S. 164 ff) gegeben habe:

Rede Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) zu TOP 21 Telemediengesetz

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Themen „Störerhaftung“ und „Providerprivilegierung“ im Telemediengesetz (TMG) beschäftigen dieses Hohe Haus seit Jahren. Durch das sogenannte „Sommer unseres Lebens“-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus 2010 ist eine Rechtsunsicherheit entstanden, die sie in ihrem Koalitionsvertrag selbst feststellen.

Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist die Frage nach der Haftung bei Rechtsverletzungen bei offenen WLAN. In seinem Urteil stellt der BGH klar, dass der Betrieb eines offenen WLAN grundsätzliche eine Gefahrenquelle (für Rechtsverletzungen durch Dritte) darstellt. Demjenigen, der ein WLAN in Betrieb nimmt, legt er gewisse Pflichten zu dessen Sicherung auf, um Rechtsverstöße zu vermeiden. Unterbleiben diese Sicherungsmaßnahmen greift die sogenannte „Störerhaftung“. Um es Internetcafés, Hotels, aber auch Privatpersonen zu ermöglichen, Kunden bzw. anderen Personen auch weiterhin ein (ungesichertes) WLAN anzubieten, wird seit Jahren die Frage diskutiert, inwieweit die vom Gesetzgeber vorgesehenen Privilegierungen für Access-Provider aus dem TMG auch für andere WLAN-Betreiber Anwendung finden können.

Kritiker des Urteils weisen darauf hin, dass der BGH sich gar nicht mit den einschlägigen Paragraphen 8 beschäftigt hat und die Ablehnung der im TMG vorgesehenen Privilegierung v.a. deswegen nicht nachvollziehbar sei, da es sich im Zuge der Bereitstellung eines WLAN lediglich um eine Durchleitung von Informationen Dritter handele, nicht jedoch um eine Speicherung – ein Betreiber eines WLAN somit durchaus auch als Access-Provider angesehen werden kann, weshalb sich der BGH zwingend mit der Vorschrift des § 8 hätte beschäftigen müssen. Aber das nur am Rande.

Seit Jahren kündigen sie nunmehr an, eine rechtliche Klarstellung vornehmen und für die dringend benötigte Rechtsklarheit sorgen zu wollen. Eine solche rechtliche Klarstellung, die der eigentlichen Intention des Gesetzes wieder Geltung verschafft, hatte die letzte Bundesregierung – trotz anders lautender Absichtserklärungen – stets versäumt. Eine rechtssichere Regelung für diejenigen, die ihre Netze für andere öffnen wollen, ist somit lange überfällig. Zuletzt hat auch der Bundesrat sie noch einmal mit Nachdruck aufgefordert, eine solche endlich vorzulegen. Eigentlich war die Einigkeit, die im TMG verankerte „Providerprivilegierung“ nach dem BGH-Richterspruch auszubauen, groß.

Umso mehr hat es dann alle Beteiligten überrascht, als im Zuge der Vorlage der „Digitalen Agenda“ deutlich wurde, dass sie zwar eine Regelung vorlegen wollen, jedoch eine Unterscheidung zwischen privaten und kommerziellen Anbietern vornehmen und zugleich sehr weitreichende Verpflichtungen für Anbieter von Funknetzen gesetzlich vorschreiben. Der schnelle Bezahlvorgang an der Supermarkt-Kasse über Mobile-Payment-Modelle wird damit verhindert. Private trifft es noch härter: Sie sollten sogar verpflichtet werden, eine namentliche Registrierung ihrer Nutzer zu verlangen. Eine solche Verpflichtung kennen wir bisher nur aus autoritären Ländern. Sie erinnert stark an Debatten um ein „Vermummungsverbot“ im Internet, die wir längst überwunden glaubten. Die Bundesregierung, die in ihrer Digitalen Agenda doch verspricht, die Anonymität im Netz auszubauen, geht auch hier, statt die Chancen einer größeren Verbreitung von freien Funknetzen aufzugreifen, in die exakt andere Richtung.

Schnell wurde klar: Statt die bestehende Rechtsunsicherheit zu beheben, ging der vorgelegte Entwurf in die genau andere Richtung. Im Grunde genommen goss er die von allen als für die bestehende Rechtsunsicherheit verantwortlich wahrgenommenen Kriterien in Gesetzesform. Deutlich wurde: Dieser Entwurf, das ist schon heute offensichtlich, wird letztendlich niemandem helfen. Seine bisherige Kommentierung fiel verheerend aus.

Dies lag auch an den – eine sehr weitreichende Ahnungslosigkeit bezüglich der Materie offenbarenden – Ausführungen der „drei federführenden Minister“ in der Bundespressekonferenz: Auf die Frage einer sichtlich irritierten Journalistin der New York Times, warum es in Deutschland eigentlich nicht mehr offene WLAN-Netze gäbe, die in beinahe jedem anderen EU-Land zu finden seien, antworte ausgerechnet der Wirtschaftsminister, dass man keine „Freiraum für Kriminalität“ schaffen wolle, woraufhin der CDU-Innenministerkollege den SPD-Minister lobte, dass er das nun auch nicht hätte schöner formulieren können. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten alle Alarmglocken bei der SPD schrillen müssen. Das tun sie aber offenbar bis heute nicht. So sah sich ein Ministeriumsmitarbeiter in einem Gastbeitrag genötigt, dem Minister zu erklären, dass die Frage der „Störerhaftung“ allein die zivilrechtliche Haftung betrifft und nichts mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit verwechselt werden dürfe. So gäbe es schon heute keine „Störerhaftung“ im Strafrecht.

Insgesamt zeigte der Vorgang und der weitere Verlauf der Debatte einmal mehr, dass die Bundesregierung trotz massiver Kritik auch weiterhin nicht gewillt sind, derart stichhaltige Argumente zu berücksichtigen. Sie haben hier heute, trotzt aller Kritik – von Verbraucherschutzorganisationen, aus der Wirtschaft, vom Bundesrat oder der EU-Kommission – ihren bisherigen Entwurf eingebracht. Dass zeigt erneut ihre Ignoranz im digitalpolitischen Bereich, die sie in den letzten Monaten unter Beweis gestellt haben.

Während sie beispielsweise bei der endgültigen Aufkündigung der Netzneutralität, die sie hier vor wenigen Wochen noch bestritten, die heute aber auch von ihren eigenen Abgeordneten in Publikationen festgestellt wird, wenigstens für jeden nachvollziehbar Wirtschaftsinteressen einiger weniger großer Firmen vor die Interessen von 500 Millionen europäischen Bürgerinnen und Bürger gestellt haben, ist hier nicht mal mehr ein solcher Kurs erkennbar. Aus einer völlig diffusen und insgesamt unbegründeten Angst schlagen sie selbst die klaren Aufforderungen aus der Wirtschaft in den Wind und halten an ihrer völlig verkorksten Regelung unbeirrt fest. Ihr Verhalten erinnert an das eines störrischen Kindes, nicht an einen Gesetzgeber, der Argumente abwägt und sich überzeugen lässt.

Auch angesichts ihres Versagens beim Breitbandausbaus wäre es dringend geraten, diejenigen, die ihre Netze gegenüber Dritten öffnen wollen und Teilhabe in der digitalen Gesellschaft ermöglichen, hierbei zu unterstützen. Doch statt dies zu tun und diejenigen zu unterstützen, die sich seit Jahren ehrenamtlich in Freifunkinitiativen zusammenschließen und dafür Sorge tragen, dass es auch Zugang zum Netz gibt, wo es diesen bisher nicht gab oder sich auch Menschen diesen leisten können, denen er vorher verwehrt war, sorgen sie mit ihrem Entwurf für weitere, massive Verunsicherung.

Statt Respekt und Anerkennung für diese wichtige Arbeit für das Gemeinwohl zu zeigen, sorgen sie dafür, dass es bald weniger statt mehr offene Funknetze gibt. Dabei sehen wir doch gerade bei der Anbindung von Flüchtlingsheimen durch ehrenamtliche Initiativen wie mit wie Herzblut und Enthusiasmus dafür gesorgt wird, dass möglichst alle bei uns lebenden Menschen die Vorzüge der Digitalisierung nutzen können. Eine steigende Verbreitung von Netzanbindungen durch Privatpersonen und Freifunkinitiativen, die ihren Anschluss bereitwillig mit anderen teilen, wird so blockiert. Damit konterkarieren Sie auch ihre Ausbauziele beim schnellen Internet.

Ihre Unterscheidung zwischen privaten und kommerziellen Anbietern ist schlicht unsinnig. Auch ihr Sinnieren darüber, wie man die Provider noch stärker in die Verantwortung nehmen und zu Hilfssheriffs machen kann, geht angesichts der Tatsache, dass wir  – bislang gemeinsam – die Providerprivilegierung ausbauen- statt einschränken wollten, an der Sache vorbei. Zudem steht die EU-Rechtskompatibilität offen in Frage. Auch verfassungsrechtlich ist ihr Entwurf umstritten.

Ihr Entwurf wimmelt zudem nur so von unklaren Rechtsbegriffen. Insgesamt ist die von ihnen vorgeschlagene Änderung des Telemediengesetzes nichts anderes als ein netzpolitischer Rollback par excellence. Während offene Netze überall auf der Welt längst Standard sind, baut die deutsche Bundesregierung weitere Zugangsbarrieren auf. Das ist absurd und ein weiteres, verheerendes digitalpolitisches Signal! Ihr Vorgehen ist nach all den Diskussionen der vergangenen Jahre bitter. Ihre eigene netzpolitische Agenda, alle schönen IT-Gipfel und Beteuerungen der letzten Monate werden so zur Makulatur.

Ich darf Ihnen an dieser Stelle nochmal die Formulierung aus ihrem eigenen Koalitionsvertrag vorhalten. Sie war – im Vergleich zu ihrem jetzigen Entwurf – geradezu progressiv. Zur Störerhaftung hieß es: „Die Potenziale von lokalen Funknetzen (WLAN) als Zugang zum Internet im öffentlichen Raum müssen ausgeschöpft werden. Wir wollen, dass in deutschen Städten mobiles Internet über WLAN für jeden verfügbar ist. Wir werden die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung dieser offenen Netze und deren Anbieter schaffen. Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber ist dringend geboten, etwa durch Klarstellung der Haftungsregelungen (Analog zu Accessprovidern).“ Zu alledem liest man in ihrem heute hier eingebrachten Entwurf leider kein Wort mehr!

Stattdessen haben Sie im Zuge der Erarbeitung ihrer Digitalen Agenda in Sachen Störerhaftung ein Kompromiss zwischen den beteiligten Häusern ausgeklüngelt, der weder mit ihren bisherigen Ankündigungen zu vereinbaren ist, noch die seit Jahren bekannten Defizite tatsächlich behebt. Selbst die Abgeordneten von CDU/CSU und SPD machen mittlerweile keinen Hehl mehr daraus, dass sie die Vorlage der Bundesregierung für völlig verfehlt halten – ein schon bemerkenswerter Vorgang, zumindest in Zeiten dieser Großen Koalition. Dass sie ihren Entwurf um 23:30 Uhr hier heute und in dieser Form debattieren lassen ist bezeichnend und zeigt, wie peinlich Ihnen ihre Vorlage selbst ist.

Auf die weiteren Beratungen im Zuge der nun noch Hals über Kopf anberaumten Ausschussanhörung sind wir sehr gespannt, genauso auf die sicherlich sehr weitreichenden Änderungen durch die Regierungskoalitionen. Konkrete Gesetzesvorschläge aus der Mitte der Zivilgesellschaft, die aufzeigen, wie eine ausgewogene und Rechtsicherheit schaffende Regelung aussehen könnte, liegen seit mehreren Jahren auf dem Tisch. In dieser Legislaturperiode hat sie meine Fraktion gemeinsam mit der Fraktion Die Linke eingebracht.

Nicht zuletzt vor der seit Jahren anhaltenden Verweigerungshaltung im Bereich des Urheberrechts und ihrer bislang desaströsen netzpolitischen Bilanz in dieser Wahlperiode kann ich Sie an dieser Stelle nur noch einmal auffordern, sich an den vorliegenden, konkreten Gesetzesvorschlägen zu orientieren. Sie selbst haben leider einmal mehr gezeigt, dass sie mit den Herausforderungen des digitalen Wandels maßlos überfordert sind. Sie taumeln nicht nur weiter orientierungslos durchs Neuland, mittlerweile haben sie sich heillos verlaufen.

Vielen Dank!

Weiteres Parlamentarisches Verfahren:
Wie geht es nun in Sachen Störerhaftung im Bundestag weiter? Überraschend hat die Große Koalition nun noch eine Anhörung des Wirtschaftsausschusses für Mittwoch, den 16. Dezember 2015 terminiert. Auf die Anhörung, die geladenen Sachverständigen sowie das Prozedere für die Anmeldung werden wir in den nächsten Tagen noch einmal aufmerksam machen. Auf die sicherlich weitreichenden Änderungen von CDU/CSU und SPD am Gesetzentwurf der Bundesregierung freuen wir uns schon! Vielleicht besinnt sich ja tatsächlich jemand in den Reihen der GroKo auf die seit langem vorliegenden gesetzlichen Vorschläge der Opposition und verhindert so, dass die Bundesregierung den nächsten netzpolitische Rollback par excellence vollzieht.