Fall Böhermann und die Meinungsfreiheit

Die Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind ein hohes Gut und unverzichtbare Voraussetzung für jede funktionierende freiheitliche Demokratie. Der „Majestätsbeleidigungsparagraf“ im Strafgesetzbuch, der im Zuge der Auseinandersetzung zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und dem Satiriker Jan Böhmermann ins Bewusstsein der Öffentlichkeit trat, passt nicht zu einer freiheitlichen Demokratie des 21. Jahrhunderts. Er muss abgeschafft werden. Die grüne Bundestagsfraktion hat dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt.

Relikt aus alter Zeit

Der Paragraf 103 des Strafgesetzbuches (StGB) ist ein Relikt aus der Zeit, als es noch eine Monarchie in Deutschland gab und geht zurück auf den Tatbestand der „Majestätsbeleidigung“. Es gibt keinen guten Grund, warum die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter schwerwiegender sein soll, als die von anderen Bürgerinnen und Bürgern.

Hinzukommt, dass dieser Sondertatbestand in Verbindung mit den Erfordernissen eines Strafverlangens der ausländischen Regierung und der Strafverfolgungsermächtigung durch die Bundesregierung (Paragraf 104a StGB) die Strafverfolgung in solchen Fällen zum Spielball der Politik macht.

Einknicken vor Erdogan

Zu welchen Verwicklungen und politischen Zwängen dies sowie der Tatbestand insgesamt führen kann, zeigt jüngst der Fall Böhmermann-Erdogan: Die Kanzlerin setzte die erteilte Strafverfolgungsermächtigung gegen die Ablehnung der SPD-Regierungsmitglieder durch. Sie dürfte sich kaum gewundert haben, dass angesichts des EU-Türkei-Flüchtlings-Deals und ihrer voreiligen Bewertung des Böhmermann-Schmähgedichts diese Entscheidung als Blamage und Einknicken vor Erdogan erscheint.

Aus „Schah-Paragraf“ …

Neu sind diese Schwierigkeiten allerdings nicht. Bereits in den Sechziger Jahren sorgte Paragraf 103 StGB für Aufsehen und bekam den Beinamen „Schah-Paragraf“, weil der Schah von Persien sich mehrfach darauf berief. Er fühlte sich von deutschen Studenten beleidigt. Die damalige Bundesregierung war durch die Norm ebenfalls erheblich unter Druck geraten. Das ging so weit, dass der Bundesinnenminister nach Teheran reiste und den Schah dazu brachte, das Strafverlangen zurückzuziehen.

… wird „Erdogan-Paragraf“

Sollte Herr Erdogan neben Herrn Böhmermann nun auch gegen Herrn Döpfner und gegebenenfalls weitere Personen nach Paragraf 103 StGB vorgehen wollen, stünde der Umbenennung in „Erdogan-Paragraf“ wohl nichts entgegen.

Dazu sollte es aber gar nicht erst kommen. Der grüne Gesetzentwurf, der nun im Plenum zur Debatte steht, schlägt die sofortige Streichung des Paragrafen 103 StGB vor – und nicht erst ab 2018. Hierdurch entstünde keine Strafbarkeitslücke. Über Paragraf 185 StGB können Beleidigungen – auch die ausländischer Politiker – geahndet werden. Die Bewertung, ob der Tatbestand einer Beleidigung erfüllt ist oder der Vorgang zum Beispiel durch die Meinungs-und Kunstfreiheit geschützt ist, ist in unserem Rechtsstaat Sache der Strafverfolgungsbehörden und der unabhängigen Gerichte. Das Völkerrecht steht der Streichung des Paragraf 103 StGB nicht entgegen.

Die sofortige Aufhebung würde bedeuten, dass ein Strafverfahren gegen Böhmermann, falls es überhaupt noch läuft, nur nach dem „normalen“ Beleidigungsparagrafen 185 StGB geführt werden könnte. Wobei derzeit völlig offen ist, ob es angesichts der bereits von der Staatsanwaltschaft vorzunehmenden Prüfung eines Vorrangs von Meinungs- und Kunstfreiheit überhaupt zu einer Anklage und einer Verurteilung kommt.

Bundesregierung muss Farbe bekennen

Wie ernst die Kanzlerin beziehungsweise ihre Koalitionskollegen die von ihnen selbst angekündigte Aufhebung des Beleidigungsparagrafen wirklich meinen, wird sich nun zeigen.

Den grünen Gesetzentwurf findet Ihr hier: dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/081/1808123.pdf