Während derzeit ein Bundesland nach dem anderen ein Transparenzgesetz vorlegt, tut sich bezüglich einer überfälligen Weiterentwicklung bestehender Informationsfreiheitsgesetze und im Bereich Open Data auf Bundesebene seit Jahren nichts Substanzielles. Obwohl wir das Thema immer wieder auf die Tagesordnung setzen, hat die Große Koalition leider mittlerweile scheinbar keinerlei Anspruch mehr, sich diesen wichtigen Themen anzunehmen. Das hatte zuletzt auch eine Kleine Anfrage von uns gezeigt. Die Bundesregierung vergibt massive Chancen, sowohl für die Vitalisierung unserer Demokratie als auch für wirtschaftliche Innovationen und riskiert, dass Deutschland im internationalen Vergleich zunehmend den Anschluss verliert. Ob das von ihr im Koalitionsvertrag angekündigte Open-Data-Gesetz tatsächlich noch kommt, ist aus heutiger Sicht fraglich.

Auf Initiative der Fraktion Die Linke diskutierte der Bundestag am 9. Juni (176. Sitzung, TOP 11) über einen Antrag „Umfassendes Informations- und Transparenzgesetz schaffen“ (pdf). Meine Rede könnt Ihr hier anschauen und nachlesen:

 

 

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Auf den Webseiten des BMI lässt es sich nachlesen: „Die Mitwirkungspflicht des Vermieters bei der Anmeldung von Mietern wird wieder eingeführt, um Scheinanmeldungen und damit häufig verbundenen Formen der Kriminalität wirksamer zu begegnen.“ Das war 2013. Gegen unseren ausdrücklichen Rat wurde damals so verfahren. Ebenso wie wir gegen die Wiedereinführung der Hotelmeldepflicht sowie gegen Melderegisterauskünfte an den Adresshandel als Default-Regelung gestritten haben, die die damalige schwarz-gelbe Koalition in einer Nacht-und-Nebel-Aktion während eines Fußball-WM-Spiels der Deutschen Mannschaft terminiert hatte.

Heute, knapp drei Jahre später, tritt erneut eine Merkel-Regierung mit Hoheit über das Bundesinnenministerium wieder den Rückzug an: „Die Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei der Abmeldung wird unter dem Gesichtspunkt der Entbürokratisierung wieder abgeschafft“ (Seite 15 des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 18/8620.). Aber was bedeutet denn die halbe Rolle rückwärts? Weiterhin sollen Wohnungsgeber und Behörden aufwendigste „Spurensicherung“ hinsichtlich der Identität von Mieterinnen und Mietern bei der Anmietung betreiben. Diese Indienstnahme Privater für polizeiliche Zwecke, die für das BMI in vielen Bereichen inzwischen ganz unhinterfragt zum Mittel der Wahl avancierte, bleibt also erhalten. Und damit wohl auch im Wesentlichen der Bürokratieaufwand. Nur die Mitwirkung bei der Abmeldung entfällt. Als grüne Bundestagsfraktion appellieren wir erneut an Sie, diese bürokratischen und kleinlichen Meldepflichten gleich ganz abzuschaffen. Sie stehen in keinem Verhältnis zu den angeblichen Vorteilen bei der Kriminalitätsbekämpfung, zu denen Sie weder willens noch in der Lage sein dürften, eine entsprechende Statistik auch nur vorzuhalten. Scheinanmeldungen sind auch durch Mitwirkungspflichten letztlich nicht wirksam zu verhindern. Sicherheit bedeutet, sich auf wesentliche und effektive Linien zu konzentrieren und nicht, auch noch die Meldebehörden mit gewaltigen Datenbergen von Vermietern in ihrer Aufgabenerfüllung zu behindern.

Bei der Gelegenheit, das wiederholen wir an dieser Stelle, fordern wir Sie erneut auf, die Hotelmeldepflicht zu streichen, deren „ortspolizeiliche“ Funktion aus dem vorigen Jahrhundert nicht allen Ernstes ein relevantes Mittel der Kriminalitätsbekämpfung darstellen kann. Sie ist vielmehr eine verdachtslose Datenerhebung und Datenspeicherung auf Vorrat.

Zutreffend ist allerdings, dass das Melderecht eine immer größere Bedeutung für die Informationsordnung gewonnen hat, nicht allein für die Verwaltung, sondern auch für die Wirtschaft. Man muss das Bundesmelderecht nicht gleich zum informationellen Rückgrat einer modernen bürgerorientierten Verwaltung stilisieren, um gleichwohl die gewachsene Anzahl der Zugriffsmöglichkeiten und damit der Vernetzung der Meldedatenbestände mit anderen öffentlichen Stellen und Entscheidungsprozessen zu erkennen. Ein aktuelles Beispiel sind die umfangreichen Abruf- als auch Einmeldemöglichkeiten seitens aller mit Flüchtlingsfragen befassten Behörden nach dem sogenannten Datenaustauschverbesserungsgesetz. Während diese Regelung aus rein datenschutzpolitischer Sicht eine ganze Reihe fragwürdiger Regelungen enthält, zeigt sie doch zugleich auch die Bedeutung des Meldedatensystems. Die mithilfe der Auskunftspflicht von Bürgerinnen und Bürgern gewonnenen Meldedaten werden genutzt, um sehr unterschiedliche staatliche Aufgaben zu erleichtern, zu optimieren und zu ermöglichen. Durch die Vernetzung der Behörden wird es möglich, Aufgaben zu erledigen, ohne die betroffenen Bürger für die Durchführung der jeweiligen Aufgaben erneut in Anspruch nehmen zu müssen. Diese Effizienz, Kosteneinsparung und Bürgerfreundlichkeit ist natürlich ein Riesengewinn, wird mittlerweile von vielen als selbstverständlich erachtet und stellt beispielsweise im Umgang mit den zu uns kommenden Flüchtlingen auch einen wichtigen Faktor dar, um deren rasche Integration mit zu ermöglichen. Gleichwohl kann und wird es mit dem Melderecht keinen multifunktionalen Informationspool geben dürfen, bei dem sich die Behörden oder auch die Wirtschaft nach Belieben ohne Beteiligung der Betroffenen selbst bedienen können.

Die weiteren Vorschläge Ihres Entwurfes mögen in einer Abwägung auch mit den Grundsätzen der Datensparsamkeit vertretbar erscheinen, so etwa die Wiederaufnahme des Geschlechts in die Suchfunktion bei der automatisierten Meldeauskunft zur Erhöhung der Treffsicherheit. Auch für die Öffnung des Betriebs der Landesportale zur einfachen Melderegisterauskunft auch durch andere Behörden als oberste Landesbehörden mögen Praxiserfahrungen sprechen. Diese sowie die Übermittlung der Auskunftssperren an die Staatsangehörigkeitsbehörden sind zu begrüßen.

Noch wichtiger hingegen bleibt es weiterhin, ganz praktisch die Bürgerinnen und Bürger – gemeinsam mit den völlig unterbesetzten Datenschutzbehörden – auf ihre eigenen Betroffenenrechte und Gestaltungsmöglichkeiten im Melderecht immer wieder hinzuweisen: So können sie weiterhin Widerspruchsrechte geltend machen, gegen Wahlwerbebriefe, gegen die Adressweitergabe an Adressbuchverlage oder bei Alters- oder Ehejubiläen an Mandatsträger. Und die Weitergabe von Meldedaten für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels ist weiterhin nur mit Einwilligung möglich. Und eine solche Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden. Schließlich können alle Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer gebührenfreien Selbstauskunft gegenüber der Meldebehörde erfahren, welche Daten über sie gespeichert sind, woher diese Daten stammen und wer Empfänger regelmäßiger Datenübermittlungen sind. Auch die Nutzung dieser Betroffenenrechte trägt mit dazu bei, dass die Melderegister keine uferlosen Allzweckdatenbanken werden.