PK1 KonstantinDie Bundesregierung – allen voran ein sichtlich überforderter Innenminister Friedrich, der seine Verantwortung für den Schutz persönlicher Daten der Bürger im Internet nicht wahrhaben wollte – hintertreibt seit nunmehr mehreren Jahren die EU-Datenschutzreform. Man stellt ganz viele Fragen, man lobt (ganz ungewohnt) die deutschen Datenschutzstandards, man spielt auf Zeit. All das aus offenbar falsch verstandener Wirtschaftsnähe und um Sicherheitsbehörden und Geheimdienste nicht mit lästigen neuen Datenschutzvorschriften behelligen zu müssen. Jetzt hat das EU-Parlament unter Federführung des grünen Abgeordneten Jan Philipp Albrecht gerade einen ambitionierten Verordnungs-Entwurf vorgelegt.

Und nun liegt es an den europäischen Staats- und Regierungschefs, nachzuziehen und ihren Beitrag dafür zu leisten, dass die so dringend benötigte Reform des europäischen Datenschutzrechts noch vor Ende der Legislaturperiode auch tatsächlich kommt. Wiederholt haben wir die Bundesregierung aufgefordert, ihre starke Stimme auf dem europäischen Parkett zu nutzen und sich endlich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass die nun gefundenen Kompromisse nicht erneut verwässert werden. Frau Merkel und Herrn Friedrich haben wir wiederholt aufgefordert zu zeigen, ob es ihnen ernst ist mit dem Schutz des Grundrechts auf Datenschutz und der informationellen Selbstbestimmung.

Vor dem Hintergrund einer durch die derzeitigen Enthüllungen Edward Snowdens anhaltenden Diskussionen über den Schutz unserer Privatsphäre haben sich in den letzten Tagen auch immer wieder führende Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung für eine solch rasche Umsetzung der Reform ausgesprochen, darunter auch die Bundeskanzlerin. Es schien so, als hätten die Enthüllungen über eine scheinbar flächendeckende Ausforschung privater Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern, Berufsgeheimnisträgerinnen und –trägern sowie Wirtschaft, Verwaltung und Politik Kanzlerin Merkel, die nun plötzlich selbst betroffen war, zu einem lange überfälligen Umdenken bewegt.

Der Wahrheitsgehalt dieser Beteuerungen steht jetzt aber massiv in Frage. Während sich Angela Merkel, so schreibt es SPON, auf EU-Ebene zum Abhöropfer stilisiert, zeigte sich die Kanzlerin gleichzeitig, als es beim EU-Gipfel um den Datenschutz von 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger Europas ging, weit weniger engagiert, was dazu geführt hätte, dass amerikanische IT-Firmen „ihr Glück kaum fassen“ können. Wie interne Unterlagen belegen würden, war es vor allem die deutsche Regierung und ihre Kanzlerin Merkel, die eine rasche Verabschiedung der Reform weiter ausbremsten. Dass Angela Merkel nicht auf Eile drängte habe manche ihrer Amtskollegen sehr überrascht.

Uns überrascht das leider überhaupt nicht. Es deckt sich vielmehr mit den Erfahrungen aller, die sich seit drei Jahren mit der EU-Datenschutzreform beschäftigen und dort das Verhalten der Bundesregierung beobachten durften. Denn diese hat dort kontinuierlich gebremst, verzögert und auch inhaltlich konkret gegen die Datenschutzreform gearbeitet, nachdem sie die erste Runde der Anhörungen der Kommission gleich ganz verschlafen hatte. Während EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, Italien und Polen nun während des EU-Gipfels darauf drängten, die Reform vor dem Ende der Legislaturperiode zu finalisieren, waren es vor allem die deutsche, aber auch die britische Regierung, gegen die gerade ganz ähnliche Vorwürfe wie gegen die USA erhoben werden, die an entscheidender Stelle bremsten.

So geht aus internen Dokumenten, die dem Spiegel zugespielt wurden, hervor, dass die Abschlusserklärung von Briten und Deutschen an entscheidender Stelle geändert wurde: Statt „adoption next year”, der Verabschiedung im nächsten Jahr, wurde versucht, die Vorlage in “The negotiations have to be carried on intensely” – die Verhandlungen müssen intensiv fortgeführt werden – geändert werden. Letztendlich setzte sich in der offiziellen Abschlusserklärung schließlich eine Formulierung durch, die eine „raschen“ Verabschiedung empfiehlt, was den Heerscharen von Lobbyisten, die gerade versuchen, die Reform weiter zu verwässern gerade recht kommen dürfte.

Das neuerliche Manöver Merkels zeigt mehr als deutlich: Die Kanzlerin scheint immer noch nicht verstanden zu haben, wie wichtig der Schutz der Privatsphäre in der digitalisierten Welt ist. Im Polizei- und Verwaltungsbereich  vertreten die Unionsparteien weiterhin eine Law and Order-Politik der 70er Jahre und fordern mit der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung explizit selbst ein Instrument des flächendeckenden Generalverdachts gegen alle Bürgerinnen und Bürger. Und beim Wirtschaftsdatenschutz gilt: Die Bundesregierung vertritt bislang allein die Position derjenigen Lobbyisten, die auch nach 30 Jahren noch versuchen, den Datenschutz ausschließlich als Bürokratiehindernis zu diskreditieren. Dabei ist der von ihr in den letzten Jahren verfolgte Weg der Selbstverpflichtungen in diesem Bereich längst gescheitert.

Auch der jüngste Datenskandal, der größte in der Geschichte der westlichen Demokratien, der direkt an die Wurzeln unseres Rechtsstaates geht, hat noch immer nicht zu einem längst überfälligen Umdenken der Kanzlerin geführt.  Frau Merkel hat die Bedeutung der informationellen Selbstbestimmung, die Vertraulichkeit und Integrität computertechnischer Systeme, der Spionageabwehr und der Datensicherheit für Unternehmen bis heute nicht erkannt. Sie muss endlich die Bedeutung dieser Fragen in unserer heute durchdigitalisierten Welt als solche erkennen, sonst schadet sie dem Grundrechtsschutz in Deutschland und Europa und verhindert, unsere Gesellschaft für das digitale Zeitalter rechtsstaatlich zu rüsten.

Während die Kanzlerin nach der Atomkatastrophe von Fukushima ihren Irrweg in energiepolitischen Fragen grundlegend revidierte und Deutschland aus der Nutzung von Atomenergie zur Energiegewinnung ein für allemal ausstieg, steht eine solche Kehrtwende der Kanzlerin in datenschutzrechtlichen Fragen weiter aus. Eine solche Kehrtwende aber ist überfällig. Die Frage ist, was diese Kehrtwende bei Frau Merkel eigentlich noch auslösen soll, wenn es die derzeitigen Snowden-Enthüllungen und ihre persönliche, über ein Jahrzehnt dauernde und Privatestes betreffende Überwachung nicht tun. Oder anders: Was muss eigentlich noch passieren, damit Kanzlerin Merkel ihren bisherigen Kurs endlich verlässt und sich tatsächlich für einen effektiven Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger engagiert?