18. Sitzung, 21.02.2014, TOP 18:

Viel zu lang haben sich Union und SPD hinter der Umsetzungsverpflichtung einer bestehenden EU-Richtlinie versteckt. Obwohl sich führende Vertreter der SPD im zurückliegenden Wahlkampf noch für ein Abwarten des EU-Richterspruchs und eine grundlegende Überarbeitung der Richtlinie aussprachen, will man davon heute nichts mehr wissen. Klar ist: Auch die GroKo wird sich auf europäischer Ebene nicht gegen eine Aufhebung der Richtlinie einsetzen. Dies wäre aber dringend angeraten. Vor diesem Hintergrund haben wir Grünen heute einen Antrag (pdf) in den Bundestag eingebracht. Einen ganz ähnlich lautenden Antrag (pdf) hat die Linke eingebracht. An dieser Stelle dokumentieren wir meine Rede. Wie immer gilt: Über Kommentare und Anregungen freue ich mich.

Die Rede kann hier angeschaut und im Folgenden nachgelesen werden.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Dr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute erneut einen Antrag zum Thema Vorratsdatenspeicherung eingebracht. Das Thema ist zu einer Kernfrage im Bereich der Bürgerrechte in der digitalen Welt geworden. Uns ist wichtig, hier im Parlament noch einmal klarzustellen: Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Mittel der anlasslosen Massenüberwachung der Bürgerinnen und Bürger. Sie ist maßlos, sie ist weitestgehend nutzlos, und sie ist unverhältnismäßig. Wir lehnen sie daher ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Bedauerlicherweise steht sie nun im Koalitionsvertrag. Auch beim Justizminister gab es nur ein kurzes Aufbäumen; inzwischen ist er eingeknickt und gehört zu den Befürwortern. Ein kurzer bürgerrechtlicher Sturm im Wasserglas, das war es bei der SPD. Man fragt sich: Wo ist die neue Bürgerrechts- und Internetpartei?

(Jan Korte [DIE LINKE]: Hier! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ne, ne!)

Das alles machen Sie im Lichte des größten Überwachungs- und Geheimdienstskandals aller Zeiten, und das, obwohl sich die SPD im Wahlkampf noch dafür aussprach, die Vorratsdatenspeicherung im Zuge des NSA-Skandals ganz neu zu bewerten. Das alles machen Sie bis heute, obwohl der tatsächliche Nutzen einer Vorratsdatenspeicherung für die Strafverfolgungsbehörden nicht nachgewiesen werden konnte: weder von den deutschen Befürworterinnen und Befürwortern, die immer noch – das werden wir gleich bestimmt wieder erleben – mit dem Einzelfall argumentieren – dem für den Gesetzgeber denkbar ungünstigsten Argument –, noch die EU-Kommission, die in einem jahrelangen Prozess versucht hat, den empirischen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung nachzuweisen. Alles ohne Erfolg. Deshalb sind das keine guten Argumente, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen: Es wird Ihnen nicht gelingen, ein Gesetz vorzulegen, das den extrem hohen verfassungsrechtlichen Hürden genügen wird. Karlsruhe warnt in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung zu Recht vor dem diffusen Gefühl des Beobachtetseins, das durch die anlasslose Massenüberwachung entsteht. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts verwiesen kürzlich selbst darauf, aus Angst vor Überwachung nicht mehr mit Elektronik in Besprechungen zu gehen. Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist in einem Rechtsstaat völlig absurd, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht akzeptierbar!)

Richtig ist: Die Vorratsdatenspeicherung ist von Karlsruhe nicht generell verfassungsrechtlich untersagt und ausgeschlossen worden; das behauptet auch keiner. In seinem Urteil aber mahnt das Gericht eine Überwachungsgesamtrechnung an, die man bei einem Eingriff mit dieser Streubreite immer mit berücksichtigen muss. Damals erwähnten die Karlsruher Richterinnen und Richter in diesem Zusammenhang eine andere Vorratsdatenspeicherung: ELENA. Jetzt können wir uns hier alle einmal gemeinsam ausmalen, wie diese Gesamtrechnung heute, im Lichte der Affäre um NSA, GCHQ und BND aussieht. Da sage ich Ihnen: Bon voyage bei der Umsetzung einer neuen Vorratsdatenspeicherung! Viel Spaß bei den Verhandlungen in Karlsruhe, dem obersten deutschen Gericht, dessen Richterinnen und Richter aus Angst vor Überwachung nur noch Stift und Papier in ihre Besprechungen mitnehmen! Viel Erfolg dabei!

Ich sage Ihnen: Natürlich behalten wir uns vor, in diesem Fall erneut nach Karlsruhe zu ziehen. Ihre Argumentation, die wir auch heute hören werden – „Das ist alles kein Problem, das setzen wir um, das ist keine Schwierigkeit“ –, haben wir bei jedem Sicherheitsgesetz, das Sie in den letzten Jahren hier eingebracht haben, gehört, und fast immer mussten Sie sich vom obersten deutschen Gericht über die Verfassung belehren lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sagen Ihnen: Ersparen Sie sich die erneute Schmach, Herr Kollege Heveling. Nehmen Sie Abstand von diesem unverhältnismäßigen Mittel, und konzentrieren Sie sich auf das, was wir effektiv, schnell und zuverlässig für die Kriminalitätsbekämpfung und für den Kinderschutz machen können.

(Zuruf des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU])

– Herr Schuster, jetzt kommt der interessante Teil.

Meine Damen und Herren, der Fall Edathy zeigt doch klar: Wir müssen unseren Strafverfolgungsbehörden gerade in Zeiten von Internet und Digitalisierung endlich effektive Instrumente in die Hand geben.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Die nehmen Sie ihnen doch gerade!)

Eine Vorratsdatenspeicherung ist unverhältnismäßig und führt zu Aufklärungsquoten im Promillebereich. Damit gehört sie eben nicht zu den effektiven Instrumenten.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Aber ist sie nicht effektiv?)

Haben Sie sich einmal gefragt, Herr Sensburg, warum im Fall Edathy über ein Jahr lang nicht ermittelt wurde? Haben Sie sich einmal in den Kellern der Staatsanwaltschaften dieses Landes umgeschaut, wo sich die Computer und die Festplatten meterhoch stapeln, weil sie nicht kriminaltechnisch untersucht werden können? Nach jahrelangen Diskussionen wissen wir doch heute, welche Stellschrauben wir drehen müssen: Wir brauchen eine bessere personelle und technische Ausstattung, zum Beispiel Bilderkennungssoftware, wir brauchen Schwerpunktstaatsanwaltschaften, wir brauchen eine Überprüfung von Beförderungswegen in Behörden, und wir brauchen eine weitere Verbesserung der Zusammenarbeit von Providern und Strafverfolgungsbehörden sowie im internationalen Bereich.

Insofern sage ich Ihnen hier noch einmal in aller Deutlichkeit: Wir müssen gemeinsam intensiv prüfen, ob es nach den in den letzten Jahren, zuletzt im Jahr 2008, vorgenommenen Strafrechtsverschärfungen Schutzlücken im Bereich der kommerziellen Verbreitung solcher Fotos gibt. Aber wir müssen auch endlich jene Schritte angehen, die ich angesprochen habe. Scheindiskussionen zur Vorratsdatenspeicherung zu führen, ist kein effektiver Schritt in die richtige Richtung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Denken Sie an Ihre Redezeit?

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Für den notwendigen und effektiven Schutz von Kindern bedarf es einer Vielzahl von Maßnahmen, zu deren Umsetzung wir Sie seit Jahren auffordern. Der Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung fristet ein Schattendasein. Setzen Sie ihn endlich um! Auch die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und die Umsetzung der Lanzarote-Konvention müssen schnellstmöglich erfolgen. Wir fordern Sie heute noch einmal auf: Arbeiten Sie mit uns gemeinsam an effektiven Instrumenten! Nehmen Sie von der Vorratsdatenspeicherung Abstand! Holen Sie sich nicht eine neue Ohrfeige in Karlsruhe ab!

Ganz herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)