130. Sitzung vom 15.10.2015, TOP 21:
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei den Geheimdiensten, also im Geschäftsbereich des Bundeskanzleramts, brennt nun schon seit einigen Jahren die Hütte lichterloh. Der erste NSU‑Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages brachte unter anderem katastrophale Zustände im Verhältnis der Dienste zueinander zutage, die trotz hunderter Spitzel eine dreiköpfige rechtsextreme Mordbande mit zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern nicht zu stoppen vermochten. Derartig chaotische Verhältnisse konterkarieren die wirksame Erfüllung der Aufgaben der Dienste ganz offenkundig. Der vom Ausschuss herausgearbeitete hohe Reformbedarf im Sinne von Demokratie und Bürgerrechten wurde im Wesentlichen durch die Große Koalition bis heute ignoriert.
Der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode gräbt praktisch jede Sitzungswoche neue Erkenntnisse über klar rechtswidrige Vorgänge, insbesondere bezüglich der Aktivität des Bundesnachrichtendienstes, aus, vergangene Woche etwa die offen rechtswidrigen Praktiken des BND bei den gemeinsam mit dem US‑Militärdienst erfolgten Befragungen von Asylbewerbern auf deutschem Boden, die unter anderem der Erlangung von Daten zur Ziellokalisierung von US‑Drohnen dienten.
Auch hier, mehr als zwei Jahre nach den ersten Snowden-Veröffentlichungen, sind bis heute keinerlei gesetzliche Reformen für eine Verbesserung der demokratischen Kontrolle der Dienste und für die Bürgerinnen und Bürger in Sicht, um deren Grundrechte es im Kern bei diesen Geheimdienstskandalen geht. Im Gegenteil: Befugnisse wurden und werden weiter ausgebaut und gar die Online-Massenüberwachung durch Stellenaufstockungen in einem verfassungsrechtlich hochumstrittenen Feld, in dem zukünftig ohne ausreichende Rechtsgrundlage agiert wird, in fragwürdiger Weise ermöglicht. Darüber hinaus wurde der Einsatz von rechtsextremen und nicht rechtsextremen V‑Leuten endgültig gesetzlich legitimiert – und zu allem sogar versucht, dass der Öffentlichkeit als das Gegenteil, nämlich als Einhegung, zu verkaufen.
Mit größter Verwunderung mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Große Koalition insgesamt einen von den genannten Skandalen völlig unbeirrten Kurs des Ausbaus von Kompetenzen und Befugnissen der Geheimdienste verfolgt. Für den BND kam das in einer 300 Millionen Euro Finanzspritze zum Ausdruck, mit der unter anderem ausgerechnet der Ausbau der geheimdienstlichen Telekommunikationsüberwachung finanziert werden soll. Für das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde dies deutlich, als kürzlich ein umfangreiches Artikelgesetz zur Reform des Bundesamtes durch den Bundestag bugsiert wurde, das nicht mehr und nicht weniger als eine deutliche Aufwertung des Dienstes mit sich bringt – mehr Mittel, mehr Personal und zusätzliche Befugnisse. Als Grüne haben wir dagegen votiert. Wir wollen insbesondere den Inlandsgeheimdienst auf dem Prüfstand sehen, ihn von Grund auf reformieren und seine Befugnisse auf das bürgerrechtlich Gebotene einschränken.
Schon im damaligen Entwurf für die Reform des Bundesverfassungsschutzes wollten Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, auch das Bundeszentralregister aufbohren. Nun haben wir sicherlich Probleme im Bereich der Geheimdienste, denen wir weitaus größere Bedeutung für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zumessen sollten. Doch auch der uns heute zur Abstimmung vorgelegte Ähnlichenservice wirft ein gravierendes rechtsstaatliches Problem auf: Er betrifft die geheimdienstliche Erfassung von Informationen und Daten über Personen, denen ganz überwiegend und definitiv nichts vorgeworfen werden kann. Sie haben nur eine Ähnlichkeit mit Jemandem.
Der bis heute allein für das zentrale staatsanwaltliche Verfahrensregister bestehende, euphemistisch sogenannte Ähnlichenservice soll nun auf das Bundeszentralregister ausgeweitet werden. Beim Ähnlichenservice, konkret geregelt in § 8 der ZStVBetrV, wird es anfragenden Staatsanwaltschaften aus der gesamten Bundesrepublik ermöglicht, sich in Fällen nicht eindeutig zuordenbarer oder unvollständiger Datensätze für Zwecke der Identitätsprüfung bis zu 20 Datensätze von unter ähnlichen Identifizierungsdaten gespeicherten Daten übersenden zu lassen. Diese Datensätze müssen, soweit sie Nichttreffer darstellen, wegen der eindeutigen Zweckbindung unmittelbar nach Durchsicht gelöscht werden.
Zugriffsberechtigt sein sollten nach Ihrem damaligen Entwurf alle in § 41 BZRG genannten Behörden, ein weiter Kranz. Ihre Idee, derart unter dem Radar der öffentlich diskutierten Reformen auch noch die Zugriffsmöglichkeiten der Geheimdienste auf amtliche Register zu erweitern, ging leider schief. Der Bundesrat hat völlig zu Recht dagegen interveniert. Die Reform wurde zunächst von den Ländern kassiert. Leider wollten die Länder den Ähnlichenservice jedoch nicht insgesamt stoppen, sondern gaben sich mit einer Beschränkung auf BND, MAD und BfV zufrieden.
Der vorgelegte Entwurf dampft damit – auf Druck des Bundesrates – der Sache nach eine Vorschrift wieder ein, die bereits in dem Artikelgesetz zur unsäglichen Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes aufgekommen war.
Die gesetzliche Erweiterung der Zugriffsmöglichkeiten auf die Datenbestände des Bundeszentralregisters stellt einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der dort gespeicherten Personen dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss gerade für die in Strafverfahren verwickelten Personen und deren Informationen, auch und gerade nach Beendigung ihrer Strafverfahren, ein besonderes Schutzniveau für Informationen zu ihren strafrechtlichen Verurteilungen bestehen, um dem grundrechtlich anerkannten sozialen Rehabilitationsinteresse Rechnung zu tragen.
Der bisherige Ähnlichenservice blieb innerhalb der staatsanwaltlichen Verfahren und beschränkte sich auf Ermittlungsverfahren. Es handelt sich dabei um einen bedeutsamen Eingriff in die Grundrechte der davon Betroffenen, weil es in der Mehrzahl völlig unbescholtene Personen durch Übermittlung von deren Daten an die Staatsanwaltschaften mit dem Risiko belastet, ungerechtfertigt in ein – weiteres – Ermittlungsverfahren zu geraten. Schon bislang musste dieses Verfahren der Datenübermittlung Unbescholtener deshalb als höchst bedenklich bewertet werden, das allenfalls mit Blick auf die Vorläufigkeit des Ermittlungsverfahrens, der möglichen Entlastungsfunktion für einzelne Tatverdächtige und aufgrund des nicht abschließenden Charakters gerechtfertigt war.
Die Erweiterung des Verfahrens auf das Bundeszentralregistergesetz stellt eine von der Bundesregierung in der Sache nicht näher – auch nicht empirisch – dargelegte Erstreckung auf einen umfänglichen und besonderem gesetzlichen Schutz unterfallenden Datenbestand dar. Für diese grundrechtsrelevante Erstreckung ist die Bundesregierung darlegungspflichtig.
Die nunmehr erfolgte Beschränkung ausgerechnet auf die Geheimdienste wird ebenfalls in der Sache nicht näher erläutert. Das ist für einen so grundrechtsintensiven Bereich wie die Geheimdienste erst recht nicht hinnehmbar. Zudem stellt sich die Frage, ob es nach dem sogenannten Doppeltürenmodell des Bundesverfassungsgerichts nicht zusätzlich einer hinreichend konkreten und bestimmbaren Regelung zur Inanspruchnahme durch die Dienste in den einschlägigen Geheimdienstgesetzen bedarf. Denn die von Ihrem Gesetz und den arkanen Verweisungsketten in Anspruch genommenen Bestimmungen des BZRG und der StPO betreffen automatisierte Übermittlungen, während die Erhebungsnormen des BND und des BfV allein von Einzelersuchen handeln.
Auch hier gilt: Für das Gros der Datenübermittlungen fehlt es an jeglicher datenschutzrechtlicher Erforderlichkeit, da es sich – für alle Beteiligten bekannt – nur um ähnliche, aber nicht genaue Datensätze handelt. Schon das Verfahren der Auswahl der Ähnlichendaten durch die für das Bundeszentralregister zuständige Stelle wirft deshalb bislang ungeregelt gebliebene datenschutzrechtliche Fragen auf.
Wir meinen: Ähnlichendaten ausgerechnet in der Hand von Geheimdiensten bergen ein besonderes Risiko für die Betroffenen: Gerade der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss hat aufgezeigt, in welchem Umfang die Dienste insbesondere von BND und BfV mit Hilfe von formalen Suchbegriffen, also Telekommunikationsmerkmalen, Rasterfahndungen auf Leitungen und in Medien durchführen. Ähnlichendaten sind eine Versuchung, diese Daten in die bestehenden Systeme einzuspielen und – entgegen der gesetzlich vorgeschriebenen Zweckbindung auf Identitätsfeststellung – auf mögliche Treffer in den Datenbanken hin zu überprüfen. Nach der Rechtslage wäre dies aufgrund der eindeutigen Zweckbindung allein zur Identifizierung eines unklaren Datensatzes zwar unzulässig, aber im Bereich der Signal Intelligence etwa des BND wurde in den zurückliegenden 15 Jahren in vielerlei Hinsicht offenkundig rechtswidrig gehandelt oder die bestehenden Rechtsvorschriften kreativ zu eigenen Gunsten ausgelegt.
Unser Fazit zum heute vorgelegten Gesetzesvorschlag lautet deshalb: Der bisher allein für die Staatsanwaltschaften im Rahmen von Ermittlungsverfahren bestehende Ähnlichenservice ist ohnehin datenrechtlich höchst fragwürdig, weil er Informationen von Unbescholtenen in laufende Ermittlungen hereingibt. Seine Ausweitung auf das BZRG – ausgerechnet auf die Geheimdienste – ist nicht nur in der Sache fahrlässig, sondern rechtlich höchst fragwürdig. Wir haben deshalb diese Erweiterung geheimdienstlicher Zugriffe auf das Bundeszentralregistergesetz bereits im Rahmen der Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes kritisiert und abgelehnt.
Wir enthalten uns heute allein deshalb, weil die einen noch gravierenderen Eingriff darstellende Regelung aus dem damaligen Verfahren, also die Erstreckung des Ähnlichenservice auf alle in § 41 BZRG genannten Behörden, von Ihnen wieder – wenn auch nicht freiwillig – aufgenommen wurde.