7. Sitzung, 15.01.2014, TOP ZP 1, Aktuelle Stunde:
Die Rede als Videomitschnitt finden Sie hier.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz das Wort.
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach monatelanger Verklärung und Vertuschung, nach Placebos und Beschwichtigungen im Wahlkampf, nach gänzlich ergebnislosen Delegationsreisen und auch nach Ihrer etwas nebeligen Rede, sehr geehrter Herr Staatssekretär, stehen Sie, steht das Bundeskanzleramt, steht die Bundesregierung unter Angela Merkel heute, ein Dreivierteljahr nach den Veröffentlichungen von Snowden, völlig blank dar. Das ist der Skandal nach dem Skandal.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Das No-Spy-Abkommen als Antwort auf die Enthüllungen von Snowden war von Anfang an nicht aus-reichend. Spionage ist eben nur ein Teilbereich der -Gesamtproblematik, nur ein Teilbereich dessen, was Snowdens Veröffentlichungen ans Tageslicht gebracht haben. Ihnen ging es von Anfang an nicht um die Bürgerinnen und Bürger, nicht um die Bürgerrechte, nicht um die Freiheit der Menschen in diesem Land. Das war und das ist bis heute nicht Ihr Thema. Ihnen ging es um die Regierungskommunikation, um das Merkel-Phone, um das Handy der Kanzlerin.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Richtig!)
Heute ist klar: Noch nicht einmal das können Sie schützen.
Gleichzeitig haben Sie mit Ihrem No-Spy-Abkommen-Projekt, das offenbar gescheitert ist, ein gemein-sames Vorgehen der EU hintertrieben. Auf ein völkerrechtswidriges Vorgehen von mindestens fünf Nationen mit einem bilateralen Abkommen antworten zu wollen, ist von Anfang an ein untauglicher Versuch. Deswegen stehen Sie vor einem Scherbenhaufen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Sie haben auch europapolitisch versagt, weil Sie die EU-Datenschutzreform als einen wichtigen Baustein eines besseren Datenschutzes in der Europäischen Union nicht gestärkt haben. Sie haben diese Reform geschwächt und verzögert; sie wird in dieser Legislatur-periode des EPs nicht mehr kommen. Das steht in einem klaren Widerspruch zu Aussagen von Frau Merkel im Sommerinterview, in dem sie als Reaktion auf die Snowden-Affäre gesagt hat, die Bundesregierung stehe dafür, dieses EU-Datenschutzabkommen zu einem guten Abschluss zu bringen. Wir haben versucht, dieses Vorhaben voranzubringen. Dafür haben wir uns engagiert, auch in Brüssel. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass dieses Vorhaben jetzt scheitert.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Da klatschen nicht einmal die eigenen Leute!)
– Herr Binninger, das werden Sie aushalten müssen.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ich habe nur gesagt, dass bei dem Gerede nicht einmal die eigenen Leute klatschen!)
Wenn man in den letzten Tagen Zeitung gelesen hat, konnte man lesen, dass der ehemalige Bundesinnenminister Friedrich im Rückblick auf seine Zeit im BMI gesagt hat – ich zitiere –:
Ich hatte übrigens wichtigere Themen als die NSA-Affäre.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Unglaublich!)
Das bringt es auf den Punkt. Sie haben als Bundesregierung damals wie heute nicht verstanden, worum es im Kern geht. Die zentrale Frage ist: Kann es in einem freiheitlichen Rechtsstaat eine anlasslose massenhafte -Erfassung von Kommunikations- und Bewegungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger geben? Und die Antwort lautet: Nein, denn wer beobachtet wird, der ist nicht frei.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wenn ein Innen- und Verfassungsminister wichtigere Themen hat als die Freiheit und die Bürgerrechte der Menschen in unserem Land und in Europa, dann stimmt an seiner Grundkonzeption etwas nicht. Vor diesem Hintergrund – das sage ich ganz klar in Richtung SPD – muss endlich und endgültig Abstand genommen werden von der Vorratsdatenspeicherung;
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
denn sie ist die massenhafte anlasslose Speicherung unserer Kommunikations- und Bewegungsdaten. Deswegen ist sie aus unserer Sicht kein rechtsstaatliches Mittel.
Ich will zum Schluss etwas versöhnlicher werden.
(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Echt?)
– Ja. – Wir werden genau verfolgen, ob diese Bundesregierung entschlossener, sinnhafter und bürgerrechtsfreundlicher agieren wird als die letzte. Mit Interesse habe ich zur Kenntnis genommen, dass der neue Innenminister, Herr de Maizière, gesagt hat, dass die Freiheit der Kommunikation im Internet ein Schwerpunkt seiner Amtszeit sein wird. Das finde ich gut. Aber im Koalitionsvertrag steht, anders als Ihre Ausführungen es vermuten lassen, Herr Krings, nichts Substanzielles dazu. Ich bin sehr gespannt, was da kommen wird. Auf die Aussage von Herrn de Maizière muss eine echte Kurs-änderung folgen. Das darf nicht nur eine rhetorische Kursänderung unter dem Druck der augenblicklichen Diskussion sein. Die Bürgerrechte und der Rechtsstaat im digitalen Zeitalter, das muss ein ganz zentrales Thema für uns alle in der 18. Wahlperiode werden.
Um das glaubwürdig gemeinsam voranzubringen, müssen wir jetzt einen Parlamentarischen Unter-suchungsausschuss mit einem ernsthaften und substanziellen Untersuchungsauftrag auf den Weg bringen. Das heißt, wir müssen auch die Rolle der deutschen Dienste im internationalen Datenringtausch, den es offenbar gibt, aufklären und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen. Wir brauchen die europäische Datenschutz-verordnung und eine durchgehende Ende-zu-Ende–Verschlüsselung der Kommunikation. Wir müssen PNR, SWIFT und Safe Harbor aussetzen, um wieder in die Diskussion einsteigen zu können – ich bin gespannt, wie Sie das sonst machen wollen –, und wir müssen uns mit denen verbünden, mit denen wir für Bürgerrechte, -Freiheit und ein Ende der Überwachung streiten. In der Zivilgesellschaft und in der Wirtschaft gibt es solche Partner. Schriftstellerinnen wie Juli Zeh, der Nobelpreisträger Günter Grass und auch andere europäische Länder sehen dieselbe Problematik. Parlamentarier in den USA, in Großbritannien und anderswo teilen unsere massive Kritik an der völlig maßlosen Überwachung. Daran, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, werden wir Sie messen.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)