11. Sitzung, 30.01.2014, TOP 1.10 Aussprache zur Innenpolitik

In der hinter uns liegenden Sitzungswoche des Bundestages fanden die sogenannten Generaldebatten über die einzelnen Politikfelder im Plenum statt, bei der die Ministerinnen und Minister erfahrungsgemäß erste Einblicke in die Schwerpunktsetzung ihrer Ressorts in den ersten Regierungsmonaten geben.

In meiner Rede kritisierte ich u.a. den anhaltenden Unwillen der Bundesregierung, die derzeitige Ausspäh- und Geheimdienstaffäre entschlossen aufzuklären und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, gleichzeitig an der Vorratsdatenspeicherung festzuhalten und bei der öffentlichen Debatte um Zuwanderung und Flüchtlingsschutz Stammtischressentiments zu bedienen.

Die Rede kann hier als Videomitschnitt angeschaut und hier im Wortlaut nachgelesen werden:

Vizepräsident Johannes Singhammer:

Als Nächster spricht der Kollege Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Minister de Maizière, auch von uns herzlichen Glückwunsch zum neuen, alten Amt. Gerne sagen wir zu, weiterhin offen und konstruktiv mit Ihnen zu streiten und zu diskutieren. Aber dort, wo Sie als Große Koalition dieselbe Blockadehaltung beim Daten- und Verbraucherschutz, den gleichen Zynismus in der Flüchtlingspolitik und eine ähnliche Verweigerungshaltung in netzpolitischen Fragen an den Tag legen, wie das Schwarz-Gelb getan hat, werden wir uns kritisch mit Ihnen auseinandersetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])

Zuallererst müssen wir hier heute feststellen: Diese Bundesregierung hat ein handfestes Sicherheitsproblem, und dieses trifft alle Bürgerinnen und Bürger unmittelbar. Herr Minister, das ist relevant für das Bürgerministerium. Im größten Überwachungsskandal aller Zeiten stehen Sie nach neun Monaten mit völlig leeren Händen da. Selbst der amerikanische Präsident, über dessen Untätigkeit Sie zu Recht klagen, hat öffentlich klarer Stellung bezogen, als sie das bisher getan haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Das stimmt!)

Die einzigen Antworten der Bundeskanzlerin in dieser schweren Krise unseres Rechtsstaates – EU-Datenschutzverordnung und No-Spy-Abkommen – sind beide kläglich gescheitert. Sie sind gescheitert wie der Versuch von Herrn Pofalla, die Probleme für beendet zu erklären, oder der Versuch, sie einfach wegzudefinieren, den jüngst der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz unternommen hat, um offenbar von eigenen Versäumnissen abzulenken. Dieses Verhalten ist skandalös. Deswegen brauchen wir Aufklärung, Transparenz und den parlamentarischen Untersuchungsausschuss, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Zweifellos geht es um komplexe Zusammenhänge von kommerziellen und staatlichen Infrastrukturen bei der Datenverarbeitung. Da braucht es neue, differenzierte Antworten. Ein IT-Sicherheitsgesetz, das allein auf Meldepflichten der Wirtschaft abzielt, wird deshalb eben nicht ausreichen, Herr Minister – vor allem dann nicht, wenn – wie beim jüngsten millionenfachen Datenklau – staatliche Stellen selbst auf den Informationen zumindest wochenlang sitzen bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das geht so nicht, und auch in dieser Frage haben wir noch ganz erheblichen Aufklärungsbedarf, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Gut, dass Sie den Stellenwert der Netzpolitik so klar benennen, Herr Minister – das sehe ich genauso. Aber bei aller Sympathie für den Dialog: Die Zeit der Kaffeekränzchen, unverbindlichen Dialogrunden und Runden Tische ist vorbei. Jetzt ist die Zeit des Handelns. Und dieses Handeln werden wir anhand der Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, deren Einsetzung wir alle interfraktionell beschlossen haben, mit Nachdruck von Ihnen einfordern, Herr Minister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Auch heute kann ich es Ihnen nicht ersparen: Ungeachtet anhaltender Datenschutzskandale in der Privatwirtschaft und geheimdienstlicher Totalüberwachung halten Sie weiter an der Vorratsdatenspeicherung als Instrument der anlasslosen Massenüberwachung der gesamten Bevölkerung fest.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist grober Unfug, Herr Schuster, grober Unfug!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Vorratsdatenspeicherung ist kein Mehr an Sicherheit, sie stellt vielmehr ein zusätzliches Risiko für den Datenschutz und für die Datensicherheit der Menschen und der Wirtschaft dar. Und weil Sie gesagt haben, diese Daten wären bei den Unternehmen sowieso vorhanden: Das ist ja gerade nicht so, sonst bräuchten wir ja überhaupt kein Gesetz. Sie wollen zusätzliche Datenberge anhäufen. Das ist fatal. Herr Hartmann, da Sie schon darauf hinweisen, man sollte entspannt und moderat auf die Vorratsdatenspeicherung schauen: Als Sie das das letzte Mal in der Großen Koalition gemacht haben, ist das von Karlsruhe zu Recht wieder einkassiert worden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Deswegen: Ziehen Sie endlich einen Schlussstrich unter die Peinlichkeit, sich als Exekutive ständig von den Gerichten über unsere Verfassung belehren zu lassen. Das ist doch peinlich für einen Innenminister und ein Innenministerium. Streiten Sie mit uns gegen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und in Europa!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Schließlich: Bei der Vorstellung des Migrationsberichts haben Sie erklärt, wie dringend unser Land Zuwanderung braucht und wie sehr wir von Zuwanderung profitieren. So ist das! Aber es war hochgradig irritierend, dass gestern auch die Bundeskanzlerin seehoferte und Zuwanderung illegitimerweise mit Missbrauch verbunden hat. Auch Ihre Stilblüten hier von der Willkommenskultur für diejenigen, die willkommen sind, erscheinen mir eher merkwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Sie tun das gegen alle Zahlen und wider besseres Wissen. Die CSU gibt bei dieser Kampagne ja vor, den Menschen „aufs Maul“ zu schauen. Tatsächlich aber sind das die Stammtische von oben. Die allermeisten Menschen sind viel weiter als Horst Seehofer und die CSU.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

In den Gemeinden, in den Städten, in den Kirchen unseres Landes gibt es runde Tische, eine Willkommenskultur für Zuwanderer, Mitgefühl und Aufnahmebereitschaft gegenüber Flüchtlingen.

Wir erwarten, dass diese Debatten über Zuwanderung und Flüchtlinge hier in diesem Hohen Haus auch auf diesem Niveau geführt werden und nicht anders, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Sinne: Herzlichen Dank!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)