Nicht trotz, sondern gerade wegen der europäischen Eurokrise, wegen der erstarkenden Rechtspopulisten und wegen vieler grenzübergreifender Probleme – sei es Klimaschutz, Flüchtlingskatastrophe oder der Überwachungsskandal – gingen wir Grünen offensiv in einen klar proeuropäischen Wahlkampf. Statt populistischer Vereinfachungen aber auch entgegen platter Beschönigungen diskutierten wir auf unserem Dresdener Programmparteitag offen und intensiv über ein besseres Europa. Wir Grüne machten in unserem Programm klar: Wir streiten für mehr Bürgermitbestimmung, europaweit gültige Bürger- und Flüchtlingsrechte, eine europäische Agrar- und Energiewende und eine Antwort auf die wirtschaftlichen Unwuchten und die grassierende Jugendarbeitslosigkeit. Und dass es für all dies eben ein Mehr an europäischer Demokratie braucht – rund um ein gestärktes Europaparlament und transparente EU-Institutionen.

Für mehr europäische Bürgerrechte und Demokratie unterwegs durch Schleswig-Holstein

Mit diesen Zielen waren wir auch vor Ort in Schleswig-Holstein unterwegs. Mitte April eröffneten wir auf unserem grünen Frühlingsempfang in Mölln den Wahlkampf im Herzogtum Lauenburg. In mehreren Schulen, mit der Europaunion, bei grünen Mitgliederversammlungen und auf der Hamburger „Freiheit statt Angst“-Demonstration redete ich zu den aktuellen Geheimdienst- und Überwachungsskandalen – in Ahrensburg, Großhansdorf, Bad Oldesloe, Schwarzenbek, Lübeck bis nach Wismar und Tübingen.

Gerade dieses Beispiel zeigt, wie sich Probleme nur noch grenzübergreifend demokratisch regeln und rechtsstaatlich kontrollieren lassen. Gleiches gilt für die Flüchtlingskatastrophe an Europas Grenzen. Folgerichtig war ich öfter mit dem Europaabgeordneten Jan Philipp Albrecht und meiner Fraktionskollegin Luise Amtsberg in der Region unterwegs, um für mehr Bürger- und Menschenrechte innerhalb wie jenseits Europas einzutreten.

Europa gelingt im Kleinen – und im Protest gegen Prestigeprojekte

Bei Diskussionen zur Möllner Altstadt-Entwicklung und Vor-Ort-Besuchen EU-geförderter Projekte in Stormarn zeigte sich aber auch, wie viel „Europa im Kleinen“ in unserem Alltag und unserer Kommunalpolitik steckt: Von der Biomüllvergärungsanlage, über den Solarpark bis zum Dorfprojekt und der örtlichen Fußgängerbrücke. Bei einem Gang durch die Lauenburger Altstadt mit dem Fraktionsvorsitzenden Toni Hofreiter verbildlichte das auch wie wenig Anderes in der Region der europäische Elbstrom: Früher durch Industrie und Abwässer verschmutzt, ist er heute auch dank europäischer Kooperation wieder von Tschechien bis zur Nordsee weitgehend sauber und mit einem Radweg für den sanften, naturnahen Tourismus erschlossen. Zugleich zeigen die großen Hochwasserschäden, dass es noch mehr Zusammenarbeit bei Auenrenaturierung und präventiven Schutzmaßnahmen bedarf, damit es die Elbstadt als „Letzte am Fluss“ nicht immer wieder trifft. Neben der EU ist hier allerdings insbesondere der Bund gefragt, um für die nötige Abstimmung der Bundesländer und die Finanzierung eines effektiven wie ökologisch und stadthistorisch sensiblen Hochwasserschutzes zu sorgen.

Mehr Europa braucht es aber leider umgekehrt auch im Protest gegen die europaweiten Belastungen durch unsinnige (EU-)Großprojekte. So demonstrierten wir am Aktionstag in Brokdorf gegen AKW-Projekte in ganz Europa und Atomexporte in die Welt. Ein weiteres Prestigeprojekt, das – derzeit zwar durch die EU gefördert – vielleicht aber auch dank europäischen Rechts beschnitten werden wird, ist die leidige Vision eines Tunnels unter dem Fehmarnbelt. Hier versprechen EU-geförderte Werbebroschüren und PR-Veranstaltungen zwar viel – aber dieses Riesenprojekt verbindet weniger Deutschland und Dänemark, als dass es für Milliarden Euro Kosten mit einer (dann wohl kaum befahrenen) Autobahn zwei Regionen und das sensible Ökosystem der Ostsee zerschneidet. Eine kluge Verkehrspolitik in Europa priorisiert nach den wichtigsten Verkehrsbedarfen und plant mit der bestehenden Infrastruktur – wie der schon jetzt funktionierenden Jütlandlinie für den Güterverkehr und einer völlig ausreichenden, tourismusgerechten Zug-Fährverbindung auf der Vogelfluglinie.

In Ostholstein und um Lübeck, aber auch in Dänemark regt sich entsprechend immer mehr Bürgerprotest, wie sich auf einer Diskussion mit dem grünen Europaverkehrsexperten Michael Cramer in Scharbeutz zeigte. Bei einer Fährfahrt mit grünen Kommunalpolitikerinnen stellte uns Scandlines das neue emissionsarme Fährkonzept als günstigere, flexiblere und saubere Alternative zum Tunnel vor.

 

Gutes Ergebnis im Norden – aber Populisten erfordern offene Auseinandersetzung 

Wir sind durchaus zufrieden mit dem Wahlergebnis der Grünen in Europa, Deutschland und Schleswig-Holstein. Das im Bundesvergleich überdurchschnittliche Ergebnis der Nord-Grünen ist Lohn und weiterer Ansporn für eine weltoffene, transparente und zukunftsorientierte grüne Politik. Besonders freue ich mich über den Wiedereinzug von Jan Philipp Albrecht ins Europaparlament. Sein großes Engagement für einen besseren Datenschutz und den Schutz unserer Bürgerrechte zeigt, dass zentrale Zukunftsfragen nur im Zusammenspiel der Parlamente gelöst werden können.

Die teils erschreckend hohen Zugewinne populistischer bis radikaler Rechtsparteien in zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten erinnern daran, wie groß die sozialen Unterschiede in einigen europäischen Ländern sind und wie fragil die Staatengemeinschaft ist. Im künftigen EU-Parlament gehen fast 20 Prozent der Sitze an Europakritiker, die zukünftig rund 140 der 751 Sitze einnehmen werden.

In einer immer vernetzteren, immer unübersichtlicheren Welt ist das Bedürfnis nach einfachen Antworten zwar verständlich – falsche Versprechungen auf dem Rücken von Minderheiten und den Schwächsten bleiben aber ebenso unsinnig wie brandgefährlich. UKIP und Front National, NPD und AfD müssen sich nun im Parlamentsalltag beweisen. Es bleibt zu hoffen, dass mancher Rattenfänger angesichts mühsamer parlamentarischer Arbeit schon bald seine Anhängerschaft verlieren wird.

Wichtig ist die deutschlandweit gestiegene und in Europa immerhin nicht abermals gesunkene Wahlbeteiligung. Denn je komplexer die Probleme und je schwieriger damit auch die politischen Debatten auf unserem Kontinent geraten, desto wichtiger ist ein starkes Europaparlament, das in aller Öffentlichkeit für die besten Lösungen im Sinne seiner Wählerinnen und Wähler kämpft.