197. Sitzung, 21.10.2016, TOP 27, Plenardebatte, Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND

In der zweiten und dritten Beratung zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND habe ich von der Großen Koalition einen effizienten, modernen und rechtsstaatlichen Geheimdienst gefordert. Die Bundesregierung hat durch den weitreichenden Datenaustausch der Geheimdienste die digitale Welt zu einem grundrechtsfreien Raum erklärt. Nur immer mit dem Finger auf die USA zeigen bringt uns nicht weiter, ein Gesetz mit dutzenden unklaren Rechtsegriffen, welches von Experten als verfassungsfeindlich angesehen wird, noch weniger.

Hier könnt Ihr meine Rede anschauen und demnächst nachlesen:

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier, die OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, die deutschen Presseverbände – Presserat, Verbände der Journalisten, Zeitungsverleger, Verdi, ARD und ZDF –, der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, die drei zuständigen UN-Sonderberichterstatter, Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, verschiedenste namhafte Verfassungsrechtler, vor allen Dingen die, die in unserer Anhörung waren – all diese Fachleute sagen: Das Gesetz, dessen Entwurf Sie heute hier vorlegen, ist verfassungswidrig. Verfassungswidrig!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege von Notz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Binninger?

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Binninger, Sie reden gleich; aber bitte. Ja.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das verlängert deine Redezeit!)

Clemens Binninger (CDU/CSU):

Herr Kollege, ich weiß, dass ich gleich selber spreche.

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das ist gut, dass Sie das wissen.

Clemens Binninger (CDU/CSU):

Sie beklagen sich immer, dass Sie zu wenig Redezeit haben; jetzt haben Sie etwas mehr.

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke.

Clemens Binninger (CDU/CSU):

Da dieser Punkt nicht Teil meiner Rede ist, Sie ihn aber gerade angesprochen haben, möchte ich etwas zu den Sachverständigen sagen, die angeblich alle so harsche Kritik geübt haben.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt hier „angeblich“?)

Es stimmt, es gab in Teilen Kritik, auch deutliche.

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Clemens Binninger (CDU/CSU):

Aber man darf in der Öffentlichkeit nicht das Bild erzeugen, das Sie gerade erzeugt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Eva Högl [SPD]: Genau!)

Ich will Ihnen ein paar Formulierungen von verschiedenen Sachverständigen zu diesem Gesetzentwurf aus der Anhörung bzw. den Gutachten vorhalten und Sie fragen, wie Sie die bewerten. – Der Sachverständige ­Bäcker sagte: Unabhängig vom Inhalt eine bemerkenswerte Leistung, dass der Bundestag das unternimmt.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann der Sachverständige Wetzling: Ein Reformpaket, das dem BND Rechtssicherheit gibt. – Der Sachverständige Wolff: Hut ab! Da können die anderen Länder sich eine Scheibe abschneiden. Das ist erst einmal nachzumachen. – Und der Sachverständige Graulich: Dieser Gesetzentwurf führt das BND-Gesetz – –

(Zurufe von der LINKEN)

– Es scheint ja schlimm zu sein, wenn man die Fakten vorgehalten bekommt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Jetzt seien Sie mal nicht so empfindlich, Herr Binninger.

Clemens Binninger (CDU/CSU):

Es scheint wirklich schlimm zu sein, wenn man die Fakten vorgehalten bekommt.

Das letzte Zitat, vom Sachverständigen Graulich, zu diesem Gesetzentwurf – Sie haben eben andere zitiert –: Dieser Gesetzentwurf führt das BND-Gesetz „insgesamt auf ein bislang nicht vorhanden gewesenes Niveau von systematischer Klarheit sowie Regelungsdichte im Einzelfall“. – Das waren die Positionen. Ich würde Sie bitten, diese Positionen, auch wenn Sie sie nicht mögen, zumindest nicht ganz auszublenden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Zunächst einmal, Herr Binninger: Ihre Empfindlichkeit scheint sehr hoch zu sein, wenn Sie es bei einer Redezeitverteilung von 80 : 20 nicht aushalten, dass die Opposition eine Minute Ihren großartigen Gesetzentwurf kritisiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Zwischenfragen sind doch das Salz in der Suppe! – Clemens Binninger [CDU/CSU]: War das die Antwort?)

– Bleiben Sie ruhig stehen, Herr Binninger!

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ich dachte, das war die Antwort!)

– Nein. Seien Sie geduldig!

Natürlich haben Sie Sachverständige benannt, die Ihren Gesetzentwurf nicht nur in Bausch und Bogen verurteilt haben. Nicht nur!

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aha!)

Herr Graulich hat Ihnen ja schon Gefälligkeitsgutachten zu den NSA-Selektoren geschrieben.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also: Ihre Gutachter sind unabhängig, unsere nicht? Das ist billig!)

Aber der Kollege Bäcker, den Sie angesprochen haben, hat Ihnen klipp und klar gesagt – so wie alle anderen, die ich eben zitiert habe, wie der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier –: Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist verfassungswidrig. – Daran kommen Sie nicht vorbei. Das ist bitter. Nehmen Sie es hin!

Sie reden von großartigen Blaupausen wie vorhin der Kollege Flisek. Frau Warken erklärt das zu einem europäischen Projekt. Das zeigt, wie grotesk die Selbstwahrnehmung der Großen Koalition inzwischen ist, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber das mit dem Gefälligkeitsgutachten nehmen Sie zurück, Herr von Notz! – Burkhard Lischka [SPD]: Sie laufen wirklich durch einen dunklen Tunnel! Da muss Ihnen jemand das Licht anknipsen!)

Vor mehr als drei Jahren veröffentlichte Edward Snowden Unterlagen zum globalen System der anlasslosen Massenüberwachung. Im Bundestagswahlkampf kamen bald unangenehme Fragen auf: Was weiß die Bundesregierung davon? Sind deutsche Dienste in dieses System involviert? Werden Bürger und Unternehmen ausreichend geschützt? – Diese Fragen kamen dem Bundeskanzleramt sehr ungelegen, weil ja Bundestagswahlkampf war, und die Antworten von Frau Merkel und Herrn Pofalla lauteten: Das ist ja alles ungeheuerlich. Davon wissen wir gar nichts. Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht. Sollte etwas davon stimmen, dann haben wir damit nichts zu tun. Deutsche Bürger und Unternehmen werden geschützt. Niemand muss sich sorgen, und falls doch: Wir verhandeln – das versprechen wir – ein No-Spy-Abkommen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Alles super!)

Nach drei Jahren Untersuchungsausschuss wissen wir: All das entsprach nicht der Wahrheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die deutschen Geheimdienste sind zentraler und wichtiger Akteur in der Überwachungsmaschinerie der Five-­Eyes-Staaten. Die von ihnen eingesetzten Systeme und Programme sind identisch mit denen der USA, wie sich aus den Snowden-Unterlagen ergibt. Anlasslos und massenhaft werden auch vom Bundesnachrichtendienst global Daten erfasst. Diese Daten werden mit Millionen von Selektoren gerastert, und 90 Prozent dieser Selektoren haben rein gar nichts mit Terrorismus zu tun.

Durch den weitreichenden Datenaustausch untereinander läuft die Kontrolle leer. Ausspähen unter Freunden, das geht volle Kanne. Das ist die Wahrheit beim BND.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das Ganze ist auch noch Baustein eines Drohnenkrieges, an dem Deutschland über diesen Datenaustausch beteiligt ist.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Ohne Nachweis!)

All das wurde an den Kontrollgremien vorbei organisiert. Sie wurden belogen und hinter die Fichte geführt. So haben Sie die digitale Welt zum grundrechtsfreien Raum erklärt. Dieser Zustand, an dem die deutschen Dienste beteiligt sind, dauert bis heute an. Das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Obwohl wir das alles wissen, zeigen Sie bis heute mit dem Finger in Richtung USA und legen den Entwurf eines Gesetzes vor, das die Probleme verschärft: Er ist voller unklarer Rechtsbegriffe. Sie geben darin die Beschränkung der Fernmeldeüberwachung auf und trauen sich nicht, Artikel 10 auch nur anzusprechen. Aufgrund der mangelhaften und völlig disfunktionalen Filter, die wir haben, verletzen Sie seit über zehn Jahren die Grundrechte von Millionen von Deutschen, und zwar täglich. Auch daran ändern Sie nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es stimmt: Wir brauchen effiziente, gute und moderne Geheimdienste, und gerade der Auslandsnachrichtendienst muss funktionieren. Aber er muss vor allen Dingen rechtsstaatlich sein

(Beifall der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Grund- und Menschenrechte unserer Verfassung sind kein Störfaktor beim Kampf gegen den Terrorismus, sondern die Grundlage dafür.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Neben all dem Streit, der in dieses Haus und zu jeder guten Demokratie gehört, ist es etwas irritierend, wie verbohrt Ihre Selbstwahrnehmung ist. Die Anhörung zu diesem Gesetzentwurf war für Sie ein Desaster, Herr Binninger.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vor allen Dingen nach dem letzten Kommentar! Lesen Sie das noch einmal nach!)

Sie ignorieren, dass Ihnen die zuständige Kontrollbehörde, die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, ein verheerendes Zeugnis für den Bundesnachrichtendienst ausgestellt hat. Alles ist klipp und klar verfassungswidrig. Diese Praxis wollen Sie hier legalisieren. Das ist inakzeptabel. Sie werden beklagt: von der unbequemen Opposition, aber auch von der G-10-Kommission. Seit neuestem werden Sie vom größten Internetknotenpunkt, dem DE‑CIX, beklagt, gestützt auf ein Gutachten von Herrn Professor Papier.

Drei Jahre nach Snowden haben wir ein handfestes Legitimationsproblem. Das desaströse Ansehen des BND kann man eben nicht bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abladen. Die Verantwortung trägt die Politik. Deswegen wäre es Aufgabe dieses Parlaments, zu zeigen, dass wir aus der Vergangenheit lernen und diese Fehler korrigieren. Dazu leisten Sie keinen Beitrag. Ich prophezeie Ihnen: Dieses Gesetz wird vor dem EuGH und vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Deswegen ist heute ein schlechter Tag für die Arbeit der Geheimdienste, für den Deutschen Bundestag sowie für unseren Rechtsstaat und die Demokratie. Das ist sehr bedauerlich.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)